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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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war nicht auszumachen. Cheng stapfte durch das weiße Kalt auf das Haus zu. Im Schein der Eingangstüre stand ein zerrupftes Mädchen mit Farbe im Haar. Dreizehnjährig vielleicht. Freilich mit dieser speziellen Körperhaltung einer schwerwiegenden Biographie. Jedenfalls kein Kind mehr. Sie trug ein dünnes, schwarzes T-Shirt, das vor allem aus Löchern bestand, wobei schwer zu sagen war, ob diese Löcher einem Design oder einem Elend entsprungen waren. Egal, auf der Schulter des Mädchens saß ein Vogel, eine Amsel. Cheng erinnerte sich. Das mußte der Vogel sein, von dem Straka erzählt hatte. Er wirkte sehr gerade und ordentlich, hatte etwas ausgesprochen Strenges an sich. Nun gut, immerhin war auch er ein Kartäuser. Bruno. Ein Asket und Heiliger. Sein Gezwitscher kam kurz und prägnant und spitz, eher ein Stachel als ein Ton.
    »Ich bin Qom«, sagte das Mädchen.
    »Ich bin Cheng.«
    »Gibt es Sie also wirklich. Ich dachte, Detektive wie Sie sind eine Erfindung.«
    »Ach weißt du, ich dachte bisher, Klingonen seien eine Erfindung.«
    »Lustig sind Sie also auch«, sagte das Mädchen und machte ein wenig Platz frei.
    »Ich kämpfe um jeden Bissen Humor«, antwortete Cheng und trat an Qom vorbei ins Haus. Er betrachtete kurz den Dobrowsky, diesen treuen expressionistischen Wachhund im Flur der Anna Gemini, und war schon im Begriff, ins Wohnzimmer zu wechseln, als das Punkmädchen ihn aufhielt und ersuchte, seine schneenassen Schuhe auszuziehen. Des Parketts wegen.
    »Du kümmerst dich um den Boden?« staunte Cheng.
    Qom sagte nichts. Sie hatte es wohl endgültig satt, daß alte, dumme Menschen nicht in der Lage waren, die Existenz eines Punks mit einer gewissen Häuslichkeit und einer Achtung vor Gegenständen der bürgerlichen Kultur zusammenzubringen. Sie blickte bloß in Richtung einer Reihe von Hausschuhen und ging schon einmal vor.
    Cheng vertauschte also das Schuhwerk und bewegte sich sodann ohne die übliche Eleganz seines Schritts. Hausschuhe besitzen leider Gottes die Schwerfälligkeit von Gravitationsstiefeln. So sehr sie dem Schutz der Böden dienen, verunstalten sie den Gang des Menschen.
    Solcherart gehandikapt, trat Cheng in die Wärme hinein und konstatierte erneut die geschmackvolle Behaglichkeit der Geminischen Wohnwelt. Kaminfeuer prasselte im Hintergrund, dazu der Klang des Klaviers, eines schweren, schwarzen Flügels, glänzend wie einer dieser gestrandeten Wale, die man dann feucht hält, bis sie sterben. Vor der Klaviatur saßen Carl und Janota. Janota spielte. Möglicherweise Brahms. Qom hatte sich neben das Instrument gestellt und warf einen gütigen Blick auf den Jungen und den Mann. Sie war wohl so eine Art Prinzessin. Eine Prinzessin von der guten Art. Trotz Löcher im Hemd.
    Anna Gemini saß entfernt davon auf einem länglichen Sofa aus sandfarbenem Stoff. Sie trug ein Kostüm von derselben Farbe. Zusammen mit ihrer hellen Haut und den blonden Haaren ergab das eine ziemlich perfekte Mimikry. Sie hätte sich auf diesem Sofa vor der Polizei verstecken können. Nicht aber vor Cheng, obgleich der lange nicht so gut sah wie er hörte. Mit der zauberischen Genesung seines Gehörs war gleichzeitig seine Sehkraft deutlich geschwächt worden. Wie beim Eishockey, wenn ein zusätzlicher Feldspieler den Tormann ersetzt und dann also die Übermacht im Felde eine gähnende Leere des Tors nach sich zieht. Auf Brillen aber verzichtete Cheng. Schließlich trug er auch keine Armprothese. Defizite waren Zeichen, die man zu interpretieren, nicht zu beheben hatte. Lauscher etwa besaß eindeutig zu kurze Beine. Niemand wäre aber auf die Idee gekommen, seine Beine verlängern zu lassen.
    Anna Gemini blätterte in einem Magazin. Dieses Magazin war es, welches die Mimikry aus Sofa und Frau durchbrach, die Tarnung aufhob.
    Cheng nickte in Richtung auf das ferne Klavier und sagte:
    »Eine richtige Familie haben Sie heute.«
    »Dieser Janota ist eine echte Plage«, meinte Gemini, wechselte die Stellung ihrer dünnen, in vanillefarbene Strümpfe gehüllten Beine und legte das Magazin zur Seite.
    »Wieso Plage?«
    »Er schleimt sich bei den Kindern ein. Und er will mich heiraten.«
    »Heiraten kommt wieder in Mode«, sagte Cheng und fand, daß das eine nette Idee sei.
    »Er glaubt«, erklärte Gemini, »auf diese Weise aus dem Schneider zu sein. Daß ich ihn nie und nimmer umbringe, wenn er erst einmal mit mir verheiratet ist und für meinen Jungen den Vater spielt.«
    »Er spielt doch gut«, sagte Cheng.
    »Er

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