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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ja wohl ein Unterschied, einen Hasen, einen Hirschen oder einen Elefanten zu schießen. Oder einen Wurm. Jagen Sie mal einen Wurm.«
    »Janota ist kein Wurm, sondern ein Monster. Er hat Nora jahrelang terrorisiert, sie an sich gebunden, um sie dann unentwegt von sich zu stoßen. Wie man jemand ins Gesicht boxt, während man ihn gleichzeitig zu sich herzieht.«
    »Das tun Männer mitunter«, konstatierte Anna.
    »Seine Art ist speziell, sehr speziell«, erklärte die Frau im Rollstuhl. »Ich hatte nie den Eindruck, daß es ihm etwa eine Befriedigung bedeutet. Da war nichts im Spiel von der Art, wie sexkranke Männer das zu tun pflegen. Sein Terror war nicht heiß, sondern kalt. Darum sage ich auch, er ist ein Monster. Nicht ein Mensch, der Macht will, weil er sie nötig hat. Kein Wurm eben. Sondern jemand, der einen Plan verfolgt. Einzig und allein diesen Plan, ohne Leidenschaft, ohne Gefühl, ohne Reue. Janota verhält sich wie ein … die jungen Leute würden sagen wie ein Programm. Er ist schlimmer als einer von diesen perversen Typen, die zwanghaft ihr Unglück in die Welt tragen und Lämmer schlachten, als könnte man damit eine Biographie ungeschehen machen. Ich kenne nicht den Sinn, der hinter Janotas Plan steht, und vielleicht existiert dieser Plan auch nur um seiner selbst willen. Aber ich weiß sicher, daß Janota kein Mensch ist, sondern eine Maschine.«
    »Wie wörtlich soll ich das nehmen?«
    »Wie ich es sage. Janota ist eine Apparatur, die einem Muster folgt, deren eine Aufgabe darin bestand, Nora in den Wahnsinn zu treiben, und deren andere lautet, mich zu töten. Ersteres konnte ich nicht verhindern. Wie auch? Ich bin über neunzig und sehr viel schwächer, als man vielleicht annimmt. Ich sitze im Rollstuhl. Was denken Sie, was ich von diesem Rollstuhl aus zu bewegen in der Lage bin? Ich beziehe eine kleine Rente. Die meisten der Menschen, auf die ich mich früher verlassen konnte, sind längst gestorben. Und die, die noch leben, sind keine Hilfe, sondern Pflegefälle wie ich selbst. Zu meinem Neunzigsten hat mich der Bürgermeister von Wien besucht. Was hätte ich ihm sagen sollen? Daß er meine Enkelin vor einer bösen Maschine retten soll? Einer Maschine, die soeben den Staatspreis für Komposition erhalten hatte?«
    »Das wäre wohl zuviel verlangt gewesen«, meinte Anna Gemini mit dem Lächeln einer Zahnarzthilfe.
    »Sehen Sie. Es blieb mir nichts anderes übrig, als freiwillig in dieses Heim zu ziehen. Ein halbwegs sicherer Ort. Die Betonung liegt freilich auf halbwegs.«
    »Was ist mit Ihrer Familie?«
    »Nora ist die letzte, von der ich weiß. Es mag andere Enkel geben. Irgendwo. Diese Familie ist, wenn ich das so sagen darf, vor langer Zeit explodiert. Jetzt fliegen die Teile durch die Gegend. Und nichts wird sie wieder zusammenführen.«
    »Was ist mit Noras Eltern?«
    »Beide tot. Woran Janota aber keine Schuld trägt. Das war vor seiner Zeit.«
    »Wie können Sie eigentlich so sicher sein«, fragte Anna, »daß unser Staatspreisträger Sie unbedingt unter der Erde sehen möchte? Ich will offen sein, Frau Reti. Sie verdienen Offenheit. Sie provozieren sie.«
    »Aber bitte. Gerne.«
    »Sie sagten selbst, Ihnen bleibe nicht mehr viel Zeit. Warum sollte Janota jemand töten wollen, für den das Ende ohnehin nahe ist?«
    »Ich habe es Ihnen doch erklärt. Er ist eine Maschine und hat einen Plan. Er kann und will sich nicht darauf verlassen, daß der Herr im Himmel mich schon morgen zu sich ruft. Es könnten noch Jahre vergehen. Natürlich, ich bin alt und kein bißchen gesund. Aber man weiß ja, wozu kranke Menschen in der Lage sind.«
    »Das sei Ihnen zu wünschen. Würde aber nichts daran ändern, daß Sie alles andere als eine Bedrohung für diesen Mann darstellen. Ihnen sind mehr als nur Ihre beiden Beine gebunden. Sie sagten es selbst.«
    »Ja und nein, liebe Frau Gemini. Immerhin stehen Sie hier. Janota kann sich denken, daß ich etwas unternehmen werde. Das hat mit der Gebundenheit meiner Füße nichts zu tun. Solange mein Hirn sich bewegt – und das tut es –, kann sich Janota nicht sicher sein.«
    »Verzeihen Sie«, sagte Anna, »aber das ist alles sehr, sehr vage.«
    Doch insgeheim begriff Anna, wie recht Frau Reti hatte. Die Tatsache, daß sie, Anna Gemini, die Killerin, erschienen war, eignete sich durchaus als Beginn einer Bedrohung für den Komponisten. Wenn nur annähernd an dem etwas dran war, was die alte Dame behauptete, und Janota um Frau Retis Entschlußkraft wußte, dann

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