Ein dickes Fell
Künstlernamen handeln«, spekulierte Smolek.
»Künstelt der Mann?«
»Er ist Komponist.«
»Das ist einer von diesen Berufen«, sagte Anna, »die den Klang von etwas Ausgestorbenem besitzen.«
Da hatte sie recht. Komponist hörte sich an wie Feldmarschall. Nur, daß Feldmarschalls tatsächlich zur Vergangenheit zählten. Komponisten aber, richtige Komponisten mit Komponistenpathos, mit dieser ganzen Ernste-Musik-Attitüde, erinnerten an Viecher aus Urzeiten, die auch heute noch lebten. Ohne das klar war, wozu das gut sein sollte.
Smolek erklärte, daß der vierzigjährige Janota durchaus mit beiden Beinen im Geschäft stehe, weniger mit seinen Opern und kammermusikalischen Klangteppichen im Stil eines undogmatischen Minimalismus als mit seiner Filmmusik, dank derer er zu den erfolgreichsten seines Faches gehöre. Mehr erfolgreich als berühmt. Jedenfalls erfolgreich genug, um über jene Geldsumme zu verfügen, mit der die Bezahlung einer möglichen Liquidation seiner Person durch ihn selbst erfolgen müßte. Freilich sei noch ungeklärt, wie man an dieses Geld herankomme. Aber das würde nicht das Problem sein.
Nun, das war es erstaunlicherweise noch nie gewesen.
»Verdient er den Tod«, fragte Anna, »unser apostolischer Tscheche? Ich frage nur interessehalber.«
»Das kann ich nicht beurteilen«, sagte Smolek. »Die Auftraggeberin hält sich sehr bedeckt. Sie möchte mit Ihnen persönlich sprechen.«
»Wie? Das würden Sie zulassen? Einen derartigen Regelbruch.«
»Ich bin auch nicht zufrieden damit. Aber das ist eine von diesen alten Damen, an deren Sturheit man sich die Zähne ausbeißt.«
»Wie alt?«
»Ich weiß nicht genau. Eher neunzig als achtzig. Sie sitzt im Rollstuhl, wirkt aber so, als könnte sie in diesem Stuhl noch eine kleine Ewigkeit aushalten. Der Typ, der nicht sterben will. Zumindest nicht, bevor alles erledigt ist. Ich habe ihr bereits angekündigt, daß wir unter den gegebenen Umständen möglicherweise ablehnen werden.«
»Was ist sie für ein Mensch?« fragte Anna Gemmi.
»Verbittert, aber kraftvoll. Nicht ohne Humor, aber eben ein galliger Humor. Sie lebt drüben in Liesing, im öffentlichen Pflegeheim.«
»Nicht gerade der vornehmste Platz.«
»Nein, bei Gott nicht.«
»Und wie kam sie dorthin?«
»Wie es scheint freiwillig. Offensichtlich hält sie diesen Ort für einen halbwegs sicheren.«
»Wieso sicher?«
»Sicherer als draußen. Sie fühlt sich bedroht.«
»Von diesem Janota?«
»Wahrscheinlich. Auch wenn mir Herr Janota weder als Bestie noch sonderlich durchtrieben vorkommt.«
»Sie kennen ihn?«
»Ich habe ihn mir angesehen. Anläßlich eines Konzerts.«
»Und seine Musik. Was ist davon zu halten?«
»Fragen Sie mich etwas Leichteres. Mein Gehör ist eine kleine Wand, an der alles abprallt, was nach Mahler kommt.«
Anna Gemini produzierte eine Kerbe zwischen ihren Augen. Es sah aus, als halte sie es für fatal, die Musikgeschichte ausgerechnet mit Mahler enden zu lassen. Sodann betonte sie die Merkwürdigkeit der Konstellation, die hier bestehe. Eine mittellose Rentnerin, die sich den Tod eines Komponisten wünsche.
»Sind die beiden verwandt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie wissen doch sonst alles.«
»Diesmal ist es eben anders.«
»Und trotzdem wollen Sie, daß ich den Fall übernehme?«
»Eigentlich nicht.«
»Aber?«
»Da ist jemand«, sagte Smolek, »dem ich sehr verbunden bin und der sich wünscht, daß ich der alten Dame beistehe. Aber wie gesagt, die alte Dame ist ein Dickschädel. Und sie scheint begeistert von der Vorstellung, daß nicht ein Killer, sondern eine Killerin Janota töten könnte. So begeistert, daß sie sich unbedingt Ihnen, und nur Ihnen, erklären möchte.«
»Und wer ist das, lieber Herr Smolek, dem Sie sich derart verbunden fühlen?«
»Ach bitte … Sie wissen doch ganz gut, daß ich Ihnen so etwas nicht sagen darf. Ein Prinzip. Ein strenges dazu.«
»Na schön. Aber was ist mit dem Prinzip, mich von den Auftraggebern fernzuhalten? Sie wissen doch, Intimitäten stören. Der wunderbarste Mensch wird einem unleidig, wenn man ihm persönlich begegnet. Und umgekehrt.«
»Sie übertreiben.« Smolek beutelte sich wie von Schnee befallen. Zu Ende gebeutelt sagte er: »Allerdings haben Sie recht. Regeln sollte man einhalten. Andererseits zeigt sich der tiefere Sinn einer Regel erst in dem Moment, da man sie durchbricht.«
»Und danach«, folgerte Anna, »ist es dann meistens zu spät, aus der Erkenntnis einen Nutzen zu
Weitere Kostenlose Bücher