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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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war.
    Sodann drehte sie ihren Kopf ein kurzes Stück rückwärts und erwähnte den Mann hinter sich: »Herr Thanhouser ist der gute Geist an meiner Seite. Ich könnte auch sagen, der starke Mann. Denn einen solchen habe ich nun mal nötig. Ich rede nicht von meiner Gebrechlichkeit. Einen Rollstuhl anzuschieben, bedarf es keiner besonderen Kräfte. Diese Geräte fahren praktisch von alleine. Auch ohne Motor. Eher bedarf es jemand, der hin und wieder auf die Bremse drückt. Nicht wahr?«
    Thanhouser verdrehte die Augen.
    »Hören Sie auf«, sagte die alte Dame, die ihren Pfleger gar nicht sehen konnte, »die Augen zu verdrehen. Ich kann es hören, wenn Sie das tun. Es knirscht.«
    Entgegen dieser Behauptung muß gesagt werden, daß die Augenverdrehung Thanhousers eine maßvolle gewesen war. Mehr ein Räuspern seiner Pupillen. Jedenfalls meinte Anna weder die typische Genervtheit noch die leise Verachtung eines von schlechter Bezahlung und Überstunden gequälten Krankenpflegers zu erkennen. Freilich ebenso wenig die glühende Herzensgüte eines Idealisten. Hier machte jemand seinen Job und schien damit im reinen zu sein. Verwirrend war nur sein Name, Thanhouser. Der Name paßte ganz und gar nicht zu diesem Mann, dessen dunkler Teint in die arabische Richtung wies und kaum an einen anglisierten Sänger des Wartburgkrieges denken ließ.
    »Herr Thanhouser«, berichtete Frau Reti von sich aus, »stammt aus Ägypten. Er war einige Zeit in London und dort mit einer Frau Thanhouser verheiratet, deren Namen er angenommen hat.«
    »Ich bin noch immer verheiratet«, sagte Thanhouser in einem Deutsch, das die fremden Akzente wie unter einer Heizdecke beherbergte.
    »Das ist unwichtig«, bestimmte die alte Dame. »Darum sind wir nicht hier. Ich wollte nur geklärt haben, weshalb Sie heißen, wie Sie heißen.« Und an Gemini gewandt: »Entscheidend ist, daß Herr Thanhouser mich beschützt. Das ist natürlich nicht seine offizielle Aufgabe. Allerdings habe ich ihn überreden können, ein wenig mehr auf mich achtzugeben, als es seine Pflicht wäre. Genaugenommen tut er nichts anderes. Wenn er sich um andere Patienten kümmert, dann nur, um das letzte Stückchen Fassade zu erhalten.«
    »Wer bedroht Sie?« fragte Anna und ließ Carls Hand los. Der Junge stellte sich auf sein Skateboard, stieß sich wie eine ins Meer springende Robbe ab und glitt über die von Herbstblättern befallenen Wege.
    »Das ist verboten«, sagte der Pfleger.
    »Schon gut, Herr Thanhouser«, winkte Frau Reti ab. »Sehen Sie irgendeinen von unseren debilen Flaneuren? Na also. Da ist niemand, den der Junge umfahren könnte. Lassen Sie ihm gefälligst seine Freude. – Wo waren wir?«
    »Wer bedroht Sie?« wiederholte Anna.
    »Richtig. Deswegen sind Sie hier.«
    »Das werden wir noch sehen«, meinte Anna, die Arme vor die Brust schiebend. Sie war fest entschlossen, sich von dieser offensiven, herrischen Rentnerin nicht einwickeln zu lassen.
    »Thanhouser!« tönte Frau Reti. »Lassen Sie uns bitte allein.«
    Der Pfleger drehte sich ohne ein Wort um, tat dann einige Schritte zur Seite, stellte sich neben eine Sitzbank und zündete sich eine weitere Zigarette an. Er wirkte gelangweilt, doch Anna bemerkte sein Adlerauge. Ein aufmerksamer Mann. Auch ein schöner. Das nebenbei.
    »Sie wissen«, fragte Frau Reti, »wer das ist, den ich Sie bitten möchte, umzubringen?«
    »Einen Komponisten namens Apostolo Janota. Ich bin Katholikin. Es würde mir gar nicht behagen, einem Mann mit einem solchen Vornamen etwas anzutun.«
    »Pah! Der Mann ist ein Schwein. Kein Vorname kann daran etwas ändern. Er hat meine Enkelin auf dem Gewissen.«
    »Sie ist tot?«
    »Sie ist verrückt. Was nicht sein müßte. Unser Herr Komponist hat sie in den Wahnsinn getrieben. Und zwar gezielt.«
    »Zu welchem Zweck?«
    »Das herauszufinden, wäre eine interessante Aufgabe. Aber mir fehlt die Zeit und die Kraft, das zu tun. Natürlich, ich könnte jemand damit beauftragen. Aber das wenige Geld, über das ich verfüge, investiere ich, mir die Gunst Herrn Thanhousers zu erhalten. Und Herr Thanhouser ist kein Detektiv, sondern Leibwächter. Was soll überhaupt die Frage? Ich dachte, eine Killerin kümmert nicht, aus welchem Grund sie jemanden töten soll.«
    »Ein bißchen möchte man sich doch auskennen«, sagte Anna. »Der eigenen Sicherheit zuliebe. Es geht nicht um die Frage, ob ich einen guten oder schlechten Menschen eliminiere. Vielmehr ist es so, als ginge man auf die Jagd. Und es besteht

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