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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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mußte er sie fürchten. Aber würde er deshalb zum Äußersten neigen, so wie Frau Reti zum Äußersten neigte? Möglicherweise war dieser Apostolo Janota in der Tat ein durchtriebener, kleiner Mistkerl, aber war er auch das Monster, als daß Frau Reti ihn, ohne ein stichhaltiges Argument anzuführen, darstellte?
    Natürlich hatte es auch etwas für sich, wenn Mascha Reti meinte, es bräuchte einen Killer nicht zu interessieren, ob die Beweggründe seines Auftraggebers einen umwerfenden Charme besaßen. Entweder war die Bezahlung umwerfend oder – wenn man sich denn gegenüberstand, wie dies hier der Fall war – der Charme des Auftraggebers. Und Charme besaß die alte Dame in der Tat. Allein die Art, wie sie ihren Kopf hielt, als stehe sie auf einem eben erklommenen Berg, dessen Erstbesteigung sie für sich in Anspruch nehmen konnte. Frau Reti besaß die Gabe, ihre altersbedingte Ermattung zu veredeln. Neunzig Jahre Edelstahl.
    Anna Gemini war durchaus angetan von diesem Habitus. Ihr Instinkt allerdings riet ihr, sich umdrehen und zu gehen. Augenblicklich. Das Problem aber war, sie hätte nie hierher kommen dürfen. Auch wenn sie gedacht hatte, sich jegliche Option freihalten zu können. Als schlucke man ein Stück Brot mit der Vorgabe, sich dessen Verdauung noch überlegen zu wollen.
    »Wie ist das, Frau Reti«, fragte Anna, ein Scheingefecht führend, »hat dieser Janota je versucht, Ihnen etwas anzutun?«
    »Ich glaube kaum, daß er persönlich erscheinen würde, mir den Hals umzudrehen.«
    »Also nicht.«
    »Er wird jemand schicken.«
    »Einen Killer?« fragte Anna.
    »Genau«, sagte Frau Reti, den Kopf anhebend. Man hätte meinen können, sie verfüge über zwei, drei zusätzliche Halswirbel. Ihr Hals schlenkerte.
    »Glauben Sie wirklich«, fragte Anna, »Herr Thanhouser könnte einen solchen Killer aufhalten, zu tun, wofür er bezahlt wird?«
    »Nicht wirklich, Frau Gemini. Nicht wirklich. Umso wichtiger wäre mir, Janota zuvorzukommen. Und wenn nicht, so doch zu wissen, daß auch seine Zeit abgelaufen ist. Ich verlange ja nicht, daß Sie morgen zu ihm hingehen und mit ihm Schluß machen. Ich weiß, daß solche Geschäfte der nötigen Vorbereitung bedürfen. Und ich weiß, daß ich mich in Ihre Arbeit nicht einzumischen habe. Sie malen das Bild. Sie bauen das Haus. Sie schreiben das Gedicht. Und ich bezahle das alles nicht einmal. Könnte mir das auch gar nicht leisten.«
    »Ja, für die Bezahlung würde Herr Janota selbst aufkommen müssen.«
    »Ein reizvoller Gedanke.«
    »Kennen Sie Kurt Smolek?« fragte Anna, sich endgültig von ihren Prinzipien verabschiedend.
    »Nicht persönlich. Man sagte mir, er sei der Mann, der die Vermittlung vornimmt.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Eine Freundin, die ich um Hilfe gebeten habe.«
    »Hat die Freundin einen Namen?«
    »Nein«, sprach Frau Reti, einen ihrer Halswirbel zurücknehmend.
    »Auch egal«, meinte Anna. »Ich werde so oder so ablehnen, obwohl es mir leid tut. Denn ich mag Sie. Aber das spielt hier keine Rolle. Smolek wird jemand anders finden müssen. Er macht das schon.«
    »Es wäre mir lieb gewesen, eine Frau hätte den Fall übernommen. Eine Frau wie Sie …«
    »Werden Sie nicht larmoyant oder politisch, das paßt nicht zu Ihnen.«
    »Sie haben recht. Entschuldigen Sie. Jedenfalls war es freundlich von Ihnen, mich besucht zu haben.«
    »Ich war neugierig«, sagte Anna.
    »Da wäre noch … könnte ich Sie dennoch um einen kleinen Gefallen bitten?«
    »Wie klein?«
    »Nora. Sie ist jetzt in der Anstalt von Steinhof untergebracht. Wie eine Irre. Nun, sie ist ja auch eine Irre. Eine Irre geworden. Thanhouser fährt mich so oft wie möglich hin. Obgleich es mir das Herz bricht, sie zu sehen. Redet kein Wort, und ihr Blick ist eine Mauer, hinter der sie sich begraben hat. Sie ist taub für alles, was die Welt ist.«
    »Was soll ich tun?« fragte Anna mit ansteigender Schärfe.
    »Besuchen Sie Nora.«
    »Wozu? Um dann ebenfalls eine Larmoyanz zu entwickeln? Und vor lauter Betroffenheit meine Meinung zu ändern? Nein!«
    »Da ist niemand außer mir, der sich um das Kind kümmert.«
    »Wie alt ist dieses sogenannte Kind?«
    »Für mich war sie immer nur ein Kind, nie eine Frau. Sie ist zweiundvierzig. Aber was heißt das schon? Sie sieht auch aus wie ein Kind. Mehr denn je. Sie werden sehen.«
    »Werde ich nicht«, sagte Anna, die nun ärgerlich wurde. Mascha Reti verspielte gerade ihren Charme. Sie verhielt sich dumm und verlor ihre trickreiche Altdamenwürde,

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