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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bestand, sich immer nur innerhalb dieser Grenzen zu bewegen. Während die meisten Menschen ständig kleine oder große Schranken durchbrachen und das Unglück, das dabei herauskam, für Fortschritt hielten.
    »Wir werden uns nicht wiedersehen«, erklärte Anna Gemini.
    »Das dachte ich mir schon.«
    »In dieser Angelegenheit wird ohnehin viel zuviel geredet und überlegt und spekuliert. Diese Haus- und Golemgeschichte ist eine Katastrophe. Chaotische Verhältnisse sind das. Es wäre also günstig, wenn Sie sich fürs erste wieder in Ihr Schweigen zurückziehen würden. Sehr günstig wäre das.«
    »Nichts anderes hatte ich vor«, erklärte Nora Janota mit einem flüchtigen Blick aus traurigen Boxeraugen. »Wenn Sie weg sind, Frau Gemini, gibt es für mich keinen Grund, den Mund nochmals aufzutun. Doktor Hagen kann mich mal.«
    »Ja«, sprach Anna, »Ärzte brauchen nicht mehr zu erfahren, als sie ohnehin herausbekommen.«
    »Lauter Schnüffler.«
    »Jeder hat seinen Beruf«, äußerte Anna und meinte abschließend, es sei so eine Sache mit dem Schweigen. Man gewöhne sich daran, wie an die Jahreszeiten oder Schimmel im Bad.
    »Ich warte auf die freudige Nachricht«, erklärte Nora.
    »Danach fange ich wieder mit dem Leben an.«
    »Gut«, sagte Anna und nahm ihren Weg auf.
    Hab Erbarmen, Heiliger Sales, mit denen, die einen Weg nicht nur einschlagen, sondern auch zu Ende gehen.

 
     
     
IV Ein Mann sucht seinen Arm
     
    Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit.
     
    PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN; LUDWIG WITTGENSTEIN

11 Wien • Stuttgart • Kopenhagen
    Die Luft war feucht. Und diese Feuchtigkeit schwebte flockenartig über dem Boden. Weshalb die Passanten sich wie durch eins dieser aufwendigen Molekül-Modelle bewegten, zwar durch die Ketten aus kugeligen Atomen ungehindert hindurchmarschierend, aber dennoch mit dem Gefühl von etwas Ungehörigem. Vergleichbar jemand, der im Zuge unglaublicher Ereignisse ein ihm fremdes Schlafzimmer quert.
    Nun, es lag Nebel über Kopenhagen, flockiger Nebel. Nebel, der durch das Gewebe der Mäntel und Pullover schlüpfte. Es gab somit wenig gute Gründe, diesen hüpfenden und knisternden großmaschigen Schwaden die Straße streitig machen zu wollen. Es war zehn am Vormittag, und in den meisten Büros hatte sich nach einer ersten kleinen Hektik – so einer Art Schrei nach Liebe – eine stille Betriebsamkeit oder auch nur ein betriebsames Dahindämmern eingestellt.
    Markus Cheng stand vor seiner Kaffeemaschine und betrachtete sie feindselig. Es handelte sich um eines dieser alten Filtergeräte, die einen beträchtlichen Lärm verursachen, eine Menge Strom verbrauchen und deren Kaffee nach etwas Totgeschlagenem schmeckt. Das Totgeschlagene war gerade dabei, sich tröpfchenweise zu ergießen.
    Wieso Kopenhagen? Das war eine Frage, die Cheng selbst nicht so richtig beantworten konnte. In erster Linie war es darum gegangen, von Stuttgart wegzuziehen, aber nicht wieder nach Wien zurückzukehren. So wie man eine deftige Mahlzeit einnehmen möchte, ohne davon Sodbrennen zu bekommen. Einen Betrug begehen, ohne in den Verdacht zu geraten, ein Betrüger zu sein. Zigaretten ohne Hustenanfälle. Thermalbäder ohne Fußpilz. Ausflüge ohne Wetterumstände. Und so weiter. Das also bedeutete Kopenhagen. Oder hätte es zumindest bedeuten sollen.
    Kopenhagen war Cheng gewissermaßen vor die Füße gefallen, indem er der Einladung eines Freundes dorthin gefolgt war. Der Freund hatte sich dann allerdings als Nervensäge erwiesen, mit der Cheng es keine drei Tage aushielt. Dennoch hatte er diesen Wink des Schicksals mit der für ihn typischen Ergebenheit angenommen und die dänische Hauptstadt zu seinem neuen Wirkungsfeld erkoren. Entgegen jeder Vernunft, da Cheng – dieser in jeder Hinsicht geborene Wiener – weder Dänisch gekonnt noch über eine Kenntnis der hiesigen Gepflogenheiten verfügt hatte. Aber Handikaps waren nun mal seine Stärke. Etwas nicht zu besitzen, etwas nicht zu beherrschen, führte in seinem Fall zu einem eigentümlichen Appeal. Freilich waren einige Leute irritiert, es mit einem Privatdetektiv zu tun zu haben, der nur über einen Arm verfügte, seinen rechten, auf Grund einer Beinverletzung schlecht zu Fuß war, zunächst gar kein, dann mit der Zeit ein recht holperiges Dänisch sprach, kaum eine technische Ausrüstung besaß und trotz seines asiatischen Aussehens dieses ganze Karatezeug für unwürdig hielt. Man kann ja reden, pflegte er zu sagen.
    Stimmt

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