Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
dem Krieg, durch die Kugel eines amerikanischen Soldaten. Wie Webern. Das ist eigentlich das schlimmste, durch eine Kugel sterben, die einem nicht wirklich gilt. Das ist dann nur noch zynisch. Jedenfalls hat Mascha nie aufgehört, diesen Mann und diese Stadt zu lieben. Ihr Prag. Wozu auch der Glaube an den Golem gehört. Sie hält solche Dinge für wirklicher als jedes Zeitungsfoto.«
    »Sie glaubt wohl an das Böse«, sagte Anna. »Der Golem, wenn ich mich recht erinnere, war ja geschaffen worden, um die Juden zu beschützen. Hat dann aber auf Berserker umgeschult. Kein freundlicher Dämon mehr, sondern ein dämonischer Unhold. Denkt Frau Reti vielleicht, Apostolo Janota sei ein Golem, einer von der ausgeklügelt perfiden Art?«
    »So könnte man sagen. Nicht, daß sie meint, er würde aus Lehm oder Maschinenteilen bestehen. Sie glaubt durchaus an sein Fleisch und Blut. Aber sie hält seinen Geist für künstlich, für einen Geist aus Lehm.«
    »Wozu, frage ich mich, braucht ein Golem ein Achtzig-Quadratmeter-Häuschen in Wien?«
    »Für meine Großmutter ist das ganz klar.«
    »Ja?«
    »Die früheren Besitzer dieses Hauses hießen Altschul.«
    »Und das bedeutet?«
    »Der Legende zufolge verschwand der Golem des Prager Ghettos stets in einem alleinstehenden Haus in der Altschulgasse.«
    Anna Gemini blies hörbar Luft aus und meinte dann, daß das doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen sei.
    »Das ist ja auch nicht das Thema«, sagte Nora. »Zumindest nicht mein Thema.«
    »Dann erzählen Sie mir von Ihrem Thema«, forderte Anna.
    »Erzählen Sie mir, warum Sie hier sind und nicht in Ihrem ominösen Altschul-Häuschen.«
    »Ein Jahr hat Apostolo gebraucht, ein Jahr des Zusammenlebens. Er hat mich nicht geschlagen, mir nie wieder mit Mord gedroht, hat an seiner Musik gearbeitet, das war’s. Und zwar wirklich. Sein Jawort war auch das letzte, das er an mich gerichtet hat. Danach Sendepause. Er hat aufgehört, mit mir zu sprechen. Radikal. Keinen Satz, kein Wort, nicht eines. Auch nicht vor unseren Freunden, wobei es ihm tatsächlich gelungen ist, sich völlig normal mit den anderen zu unterhalten. Niemand außer Mascha hat es bemerkt. Keinem ist aufgefallen, daß er mich vollständig ignorierte. Nicht mit mir, nicht einmal über mich sprach. Für die anderen schien er unverändert. Brillant, freundlich, schick, einnehmend. Waren wir aber wieder alleine, sofort Schweigen. Nicht einmal ein böser Blick. Gar nichts. Ich habe für ihn gekocht, und er hat das Essen zu sich genommen, als hätte ein Party-Service es vorbeigebracht. Er ist mir nicht ausgewichen, hat niemals einen Bogen gemacht, sondern ist durch dieses kleine Haus marschiert, als wäre er vollkommen alleine. Und das war er ja auch. Ich habe in diesem Jahr aufgehört, zu existieren. Ich bin in sein Schweigen hineingefallen wie ein abgeschossener Vogel. Plumps! Und zu war der Sack.«
    »Ach! Und da sind Sie auf die Idee gekommen, selbst zu schweigen.«
    »Ja, nur daß mein Schweigen als ein geisteskrankes verstanden wurde. Und ist es ja auch.«
    »Hat Ihr Mann … hat Apostolo Sie einliefern lassen?«
    »Hat er. Und es war mir sehr recht. Ich war froh, von ihm fortzukommen. Von ihm und diesem Haus, dem ich den ganzen Wahnsinn verdanke. Ohne zu ahnen, was überhaupt dahintersteckt. Ich kann mir schwerlich vorstellen, daß in der Erde meines Grundstücks irgendein dummer Schatz liegt, den Apostolo jetzt in aller Ruhe ausbuddeln kann.«
    »Das wäre schon ein wenig banal. – Besucht er Sie?«
    »Ja. Das gehört dazu. Ohne ein Wort zu sagen, versteht sich. Er sitzt da und sieht an mir vorbei aus dem Fenster. Nachdenklich, vergnügt, ernst. Mal so, mal so. Alle glauben, er will mich nicht drängen, zu reden. Frau Doktor Hagen findet ihn ganz großartig. Alle tun das. Ein wenig fürchte ich, daß auch Sie, Frau Gemini, das tun werden: den Scheißkerl großartig finden.«
    »Wenn ich ihm so nahe komme, um das zu beurteilen, ist sein Schicksal so oder so besiegelt. Und wenn er der großartigste Scheißkerl der Welt wäre.«
    »Sie tun es also?«
    »Es würde Sie aber – vergessen Sie das nicht! – der Wahrheit nicht näher bringen, wenn ich diesen Mann töte. Das aber allein wäre mein Job, ihn töten. Man bezahlt mich nicht, um die Wahrheit herauszufinden. In der Regel ist das Gegenteil der Fall.«
    »Wie ich Ihnen schon sagte«, erinnerte Nora, »ich möchte, daß er es mit der Angst zu tun bekommt. Daß er spürt, bedroht zu sein.«
    »Es gehört nicht zu

Weitere Kostenlose Bücher