Ein dickes Fell
meiner Technik«, erinnerte ihrerseits Anna, »die Leute, die ich liquidiere, vorher darüber zu informieren, daß sie sterben werden. Das würde die Sache doch sehr komplizieren.«
»Das ist mir schon klar. Und glauben Sie mir bitte, ich habe nicht vor, ihm etwas zu erzählen. Ich kann … ja, ich kann schweigen, wie ich tagtäglich beweise. Und auch Mascha kann schweigen. Ich meine ja auch nicht, daß ihn jemand warnen soll. Natürlich nicht. Aber ich denke … ich bin überzeugt, daß er es spüren wird. Er kann sich ja vorstellen, daß Mascha nicht klein beigibt, so wie ich klein beigegeben habe. Mascha ist eine Weltkriegsfrau, eine Nichtjüdin, die aus Liebe ins Ghetto ging. Solche Frauen kann man nicht einfach abservieren. Das weiß Janota. Ja, er wird die Bedrohung spüren, wie man in einem vollkommen dunklen Raum sitzt und weiß, daß da jemand ist.«
»Ich denke nicht«, überlegte Anna Gemini, »daß mir das recht wäre, wenn mein Opfer mich vor der Zeit spürt. Janota könnte auf die Idee kommen, sich zu wehren.«
»Es wird ihm nichts helfen. Im Gegenteil, es wird ihn nervös und unsicher machen. Er, der nie Fehler macht, wird Fehler machen. Versprochen.«
»Sie wissen«, fragte Anna, »daß Janota seine Tötung selbst zu bezahlen hat? Das ist ein Prinzip. Und nachdem in dieser Sache schon so viele Prinzipien nicht eingehalten wurden, erscheint es mir wichtig, wenigstens dieses eine zu bewahren. Auch um den Preis, daß sich alles in die Länge zieht.«
»Ja, ich weiß davon. Und ich habe selten von etwas Gerechterem gehört.«
»Kennen Sie auch den Mann, der das alles organisiert?«
»Nein.«
»Na, immerhin«, zeigte sich Anna erleichtert. Nicht, daß es viel nützte.
»Ihr Sohn?« fragte Nora und zeigte auf Carl, der soeben dabei war, den Stamm einer Föhre hochzuklettern.
»Er liebt Bäume. Er liebt es, in ihnen zu hocken.«
»Wie in dieser Geschichte …«
»Nicht so schlimm«, sagte Anna. »Carl ist … Er ist ein normaler Junge. Er bleibt nicht so lange auf den Bäumen, daß man sich Sorgen machen müßte.«
»Das ist gut«, sagte Nora. »Man soll nichts übertreiben.«
»Jemand töten lassen«, meinte Anna, »hat aber schon etwas von einer Übertreibung. Oder?«
»Nicht im Falle dieses Mannes.«
»Das denken alle Auftraggeber.«
»Vielleicht haben alle recht«, sagte Nora und erinnerte, daß nicht sie, sondern ihre Großmutter diese Sache in Angriff genommen hatte. Und ergänzte: »Ich war doch nicht mal imstande, mich auch nur eine Sekunde zu wehren. Sehen Sie mich an. Ich bin das typische Opfer. Ich bin ein Huhn.«
Anna erwiderte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Nora Janota lag ja völlig richtig, so wie sie da stand, zwar auf einem Podest, aber nichtsdestotrotz in Auflösung begriffen. Ein Mensch, oder auch nur ein Huhn, das sukzessive verschwand, sodaß schlußendlich allein dieses Podest übrigbleiben würde. Wenn nicht bald etwas geschah.
Aber würde das wirklich etwas ändern? Würde der Tod Apostolo Janotas wirklich eine Rettung für diese Frau bedeuten?
Nun, das war nicht Annas Aufgabe, sich über die Folgen einer Tötung Gedanken zu machen. Sie mußte endlich zurückfinden zu ihrer üblichen Verfahrensweise. Ja oder nein. Nichts anderes zählte, als die einmalige Entscheidung. Heiliger Franz von Sales weise den Weg …
»Ja«, dachte Anna, und dann sagte sie es auch, obgleich sie das für einen Fehler hielt. Strategisch gesehen. Aber Nora sollte darum wissen, sollte das Gefühl der Macht entwickeln, nach welcher sie sich aus guten Gründen sehnte.
»Ich danke Ihnen«, sagte Nora.
»Ich tue meine Arbeit«, meinte Anna kalt. Nach all dem Gefühlsballast hatte sie das bißchen Kälte bitter nötig. Sie rief Carl. Sagte ihm, es sei an der Zeit, vom Baum zu steigen.
Carl sprang aus einer gefährlich anmutenden Höhe herunter. Er war ein guter Springer. Beziehungsweise gut im Landen. Sehr viel besser als im Skateboardfahren. Was nichts daran änderte, daß er jetzt mit großer Freude zurück zur Straße lief, sein Brett auf den Beton warf, sich selbst auf die schnabelige Fläche katapultierte und mit flügelartig ausgebreiteten Armen und der für ihn typischen schlenkernden Bewegung des Kopfes den Hang abwärts fuhr. Rasch geriet er außer Sicht. Ohne, daß Anna deshalb in Panik geraten wäre. Sie meinte zu wissen, daß Carl seine Grenzen kannte. Und daß er diese Grenzen nicht überschreiten würde. Niemals. Ja, daß ein Teil seiner Behinderung genau darin
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