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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schon. Doch Chengs Dänisch blieb … nun, es blieb sonderbar.
    Außerdem war Markus Cheng schon lange nicht mehr bereit, Observationen von Ehepartnern und ähnliche Geschmacklosigkeiten zu übernehmen. Das war nichts für ihn. Zunächst aus dem simplen Grund, daß er sich mit dem Fotografieren oder Filmen schwertat. Die Fotos, die er schoß, selten genug, gingen immer an der Sache vorbei. Auf seinen Bildern waren Bäume, Vögel, Fassaden, natürlich Hunde zu sehen, doch so gut wie nie die Zielperson. Oder bloß in diesem abgeschnittenen Zustand halber Gesichter oder aus dem Off hineinragender Hände und Beine. Cheng hätte einen passablen Künstler abgegeben. Aber die Kunst schreckte ihn wie eine Lade, die sich als Geheimfach herausstellt.
    Dazu kam, daß es ihn bedrückt hätte, seine Klienten mit einer in der Regel traurigen oder beschämenden Wahrheit konfrontieren zu müssen. Lieber hätte er sie angelogen. Sich jedoch für eine Lüge bezahlen zu lassen, widerstrebte Cheng natürlich ebenso.
    Man konnte sich fragen, warum ein solcher Mann – ein Mann mit solchen Ansprüchen – ausgerechnet als Privatermittler tätig sein mußte. Aber Cheng ging es wie einem Tier, das ja auch nicht überlegt, warum es denn ein Tier geworden war und nicht vielleicht eine Glühbirne oder ein schnellebiger Krautsalat. Er war Detektiv, und selbst eine weitere Lädierung seines Körpers oder auch Geistes hätte daran nichts ändern können. Cheng behauptete, es existiere diesbezüglich ein höherer Wille. Daran glaubte er unbedingt. Ja, er witterte sogar einen Sinn dahinter.
    Cheng war sicher kein Philosoph, aber seine Detektivexistenz besaß eine philosophische Note. Wurde gesagt, jemand übe diesen oder jenen Beruf aus, war damit ja nur ein Teil seiner Persönlichkeit beschrieben. Im Falle Chengs hingegen konnte behauptet werden, daß er durch und durch Detektiv war: Detektivmensch.
    Daß er nun dem üblichen Bild seiner Profession so gar nicht entsprach, mutete fast wie ein Beweis für das vollkommene Detektivsein dieses Menschen an.
    Selbstverständlich war es nicht so, daß Cheng in diesem Beruf in einer karrieristischen oder obsessiven Weise aufgegangen wäre, so wenig wie ein Tier in seiner Animalität aufgeht. Cheng lebte seinen Tag, das war’s. Er schlief als Detektiv, atmete als solcher, war als solcher faul oder fleißig, beklagte als solcher Geldnöte, erfüllte als solcher hin und wieder ein Klischee, hin und wieder das Gegenteil.
    Und er besaß einen Hund, ein langohriges, kurzbeiniges, kompaktes, höchstwahrscheinlich schwerhöriges, vielleicht intelligentes, vielleicht auf eine raffinierte und originelle Weise saublödes Wesen namens Lauscher.
    Lauscher war eins von diesen Haustieren, die es haßten, sich bewegen zu müssen. Was nichts mit seinem zwischenzeitlich hohen Alter zu tun hatte. Ein Alter, das deutlich mittels der weißen und grauen Haare sichtbar wurde, welche der Dackel-Schnauze und den hoch aufragenden Schäferhund-Ohren etwas Metallisches, etwas von einer Ummantelung verliehen. Zu Lauschers früher Schwerhörigkeit war nun eine späte Blindheit hinzugekommen. Seine dunklen Augen glänzten fischig, wie in Paprika eingelegte aufgerollte Heringe. Es war schwer zu sagen, wie Lauscher es überhaupt schaffte, den Büroraum zu durchqueren, ohne gegen irgendwelche Tisch- und Sesselbeine zu stoßen.
    Nun, die meiste Zeit lag Chengs Weggefährte auf einem flachgedrückten, dunkelroten Kissen, die kurzen Beine von sich gestreckt und den schuhschachtelartig kräftigen Rumpf auf die Seite gebettet, während der Kopf über die Kissenkante baumelte. Vor allem schlief er und träumte. Er träumte geradezu in Richtung auf sein Ende. Er träumte also nicht von seiner Jugend, träumte nicht davon, nie gejagte Hasen zu jagen, sondern träumte davon, auf einem Kissen zu ruhen und seine Knochen zu schonen.
    Um hier nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dieser einarmige Detektiv und sein blinder, tauber Hund hätten ein mitleiderregend groteskes Paar erheblicher Invalidität abgegeben, muß gesagt werden, daß Lauscher einen trotz allem robusten und zufriedenen Eindruck machte, während Cheng wiederum ein eleganter Mann war, der ausgesprochen gesund wirkte. Gesünder als noch in Stuttgart und bei weitem gesünder als während seiner Wiener Zeit. Diverse Gesichtsnarben, die er sich einst zugezogen hatte, waren soweit in das eingeborene Muster seines Gesichts übergegangen – praktisch verstaatlicht worden –, daß sich

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