Ein dickes Fell
eine gediegene Einheitlichkeit ergab. Chengs melancholischer Blick war nicht ohne Kraft. Eine Kraft, die auch daraus resultierte, Stuttgart und Wien überlebt zu haben. Wobei es natürlich sehr viel schwieriger ist, die alte kakanische Nutte zu überleben, diese schlimmste unter allen Rabenmüttern, die ja nicht nur die Psychoanalyse, die Philosophie und die Barmherzigkeit aus ihren Gefilden verjagt hat, sondern auch immer wieder unbedeutende, kleine Bürger in der brutalsten Weise von sich stößt. Darin besteht wiederum die seltsame Größe Wiens, sich auch um die unbedeutenden Gestalten in aufwendiger Weise zu kümmern. Ihnen mehr zuzusetzen, als sie eigentlich verdient haben.
Cheng war so ein Bürger gewesen. Nichtsdestotrotz hatte er Wien nicht ohne Wehmut verlassen, während er aus Stuttgart wie aus einer Badewanne gestiegen war, deren leicht verdrecktes Wasser man nicht noch einmal aufwärmen möchte.
Und dann also Kopenhagen, ein Ort, der bei weitem nicht die erfrischende Bösartigkeit Wiens besitzt und dem auch die Listigkeit und anfallartige Phantastik Stuttgarts mangelt. Kopenhagen ist wie ein Loch. Aber nicht eines, in das man tief fällt oder von dem man verschluckt wird. Nein, ein Loch, in dem man wie in einer Pfütze steht und sich seine Schuhe naß macht. Nicht mehr als die Schuhe, weshalb man – eine intakte Sohle vorausgesetzt – kaum zu Schaden kommt. Freilich ergibt sich auf diese Weise ein Gefühl der Lächerlichkeit, nämlich in einem Loch zu stehen, das kein richtiges ist. In einem Loch für Käfer.
Doch Cheng war dieser Mangel an Tiefe und Gefährlichkeit gerade recht. Denn Kriminalität bestand natürlich trotzdem. Auch hier verschwanden Leute. Auch hier verschwanden Dokumente. Die Schnüffeleien, die sich daraus ergaben, konnte Cheng reinen Gewissens durchführen. In der Hauptsache arbeitete er für eine Frau von der Presse, die es vorzog, sich auf jemand außerhalb ihrer Redaktion zu verlassen. Diese Aufträge blieben derart dem Detail verhaftet, daß Cheng kaum erkennen konnte, worum es sich im Grunde handelte und worauf seine Detailarbeit eigentlich zielte. Was ihm natürlich auch lieber so war, eine Adresse auskundschaften, sich in harmloser Weise mit ein paar Leuten unterhalten, den Namen eines Schiffs in Erfahrung bringen, ja selbst noch eine Person beobachten, ohne aber in deren Schlafzimmer zu lugen. Keine Schlafzimmer, das war eine seiner Bedingungen gewesen.
Sein Job für die Pressefrau glitt niemals ab, in keinen Bereich von Gefahr oder Unanständigkeit. Im Prinzip hätte diese Arbeit irgendein Rentner erledigen können. Und es muß vielleicht auch gesagt werden, daß gerade die Kriminalistik in stärkerem Maße von Pensionisten belebt gehört. Von Leuten, die über Zeit und Ruhe verfügen. Die Zeit und Ruhe, die nötig ist, zwei vollkommen identische Objekte so lange zu beobachten, bis der Unterschied zwischen ihnen nicht mehr länger ruhig halten kann und aus seinem Versteck kriecht.
Cheng war kein Rentner, aber er besaß gewisse Fähigkeiten ruheständischen Daseins. Sitzen können und warten. So gesehen war sein Hund der richtige Hund. Keine Bewegung zuviel, keine Panik, keine Energie. Ein klein wenig Instinkt. Cheng und Lauscher liefen den Dingen nicht hinterher, sondern stellten sich an einer bestimmten Ecke auf, in der berechtigten Hoffnung, daß die Dinge einmal um den Block laufen und wieder an die alte Stelle zurückkehren würden. Es kehrten nämlich nicht nur die Verbrecher an die Orte ihrer Verbrechen zurück, sondern alles und jeder verhielt sich so. Die Rückkehr war das eigentliche Thema des Lebens. Der Sinn der Bewegung die Umrundung. In einer kugeligen Welt war das nur logisch.
Cheng saß hinter seinem vierbeinigen Schreibtisch, rauchte eine Zigarette und wartete. Wartete auf den Kaffee. Welcher sich Zeit ließ und einer Damenstimme Vortritt ließ, die sich über die hausinterne Sprecheinrichtung meldete und Cheng mitteilte, ein Herr Dalgard wäre für ihn hier.
Natürlich verfügte Cheng über keine eigene Sekretärin. Er war froh, sich selbst und seinen Hund erhalten zu können. Aber entgegen der Privatheit seines Stuttgarter und seines Wiener Büros, entsprachen seine Kopenhagener Verhältnisse dem Geist der Zeit. Zusammen mit ein paar Architekten und Graphikern teilte er sich eine Bürohausetage, und somit auch jene Infrastruktur, die eine Empfangsdame mit sich brachte.
»Was will Herr Dalgard?« fragte Cheng in seinem Stolper-Dänisch.
Die
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