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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zum Gruß an, eine schwächliche Geste, die rasch verflog. Dann schloß sich die Türe, ohne daß ein weiteres Wort gefallen wäre.

12 Heimat, du Gruft unserer Träume
    Es war Cheng übrigens in keiner Weise bewußt, daß die Regel, stets den Weg, den man gekommen war, auch zurückzugehen, beziehungsweise zurückzufliegen, im Einklang damit stand, daß Teufel und Gespenster stets genau an jener Stelle, an der sie in einen Raum geschlüpft waren, auch wieder hinausgelangen mußten.
    Teufel sind Engel, das weiß man. Und auch Detektive sind zumeist Engel, auch wenn das nicht ganz so bekannt ist. Jedenfalls entsprach es einer höheren Ordnung, daß Cheng nach Stuttgart reiste, wo er zwei Nächte und einen Tag blieb, ohne allerdings die Stadt wirklich zu besuchen. Er verbrachte beinahe die gesamte Zeit in der Wirtsstube des kleinen Innenstadthotels. Dort saß er wie in einer Kapsel, als schütze er sich vor Strahlung.
    Nur einmal ging er mit Lauscher auf die Straße. Die beiden traf ein kalter Wind. Zusammen standen sie in diesem Wind wie in einer dauernden Ohrfeige.
     
    Der Detektiv und der Hund kamen mittags in Wien an. Es herrschte ein abendliches, vorweihnachtliches Dunkel. Regen schaukelte durch die Luft. Die Straße, die vom Flughafen in die Stadt führte, glänzte wie die feuchte Haut eines Seehundes. Die Landschaft war kaum wahrnehmbar. Aber Cheng wußte ja, wie vollkommen gesichtslos dieses flache, dem Südosten Wiens vorgelagerte Flughafenland war. Er saß im Fond eines nach poliertem Leder stinkenden Taxis, den nassen, dampfenden Lauscher zu seinen Füßen, auch selbst dampfend, und blickte auf ein auf der Rückseite der Nackenstütze aufgeklebtes Abziehbild, das einen leicht schwammigen Supermann zeigte, dessen halb geöffneter Mund ballonartig eine Sprechblase entließ. Darin stand geschrieben: Ich fahre Sie ans Ende der Welt. Und wenn es sein muß, sogar bis nach Budapest.
    Daß dieser untersetzte Supermann Budapest hinter dem Ende der Welt ansiedelte, war schon klar, aber wo meinte er denn, daß sich das Ende befinde? In Wien?
    Nun, lange Zeit hatte diese Stadt tatsächlich den Anstrich einer letzten Station westlicher Zivilisation besessen. Für einen Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg war es definitiv ein mythischer Außenposten gewesen, eine baufällige Oase am Rande des Universums, ein Ort für dritte Männer, ein auch ohne Freud psychoanalytischer Hexenkessel, eine auch ohne Schönberg zwölfarmige Krake, ein vom Slawischen und Ungarischen dominierter Scherbenhaufen der Kulturen, eine Kloake, hintergründiger noch als Paris.
    In Wirklichkeit aber war diese Stadt stets das Zentrum der Welt gewesen, in guten wie in schlechten Tagen, den Westen und den Osten verbindend, den Süden notgedrungen akzeptierend und den Norden berechtigterweise als marginal übersehend. Berlin einmal ausgenommen. Von Wien waren die entscheidenden Impulse für die europäische Kultur und ihre Zerstörung, für den Fortschritt und ihre Umkehrung ausgegangen. Jedes Ding konnte sich hier in sein Gegenteil verkehren, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, die den Eindruck von etwas Naturgegebenem vermittelte. Weshalb auch der moralische Standpunkt in dieser Stadt kaum zu halten war, so wie man schwerlich der Sonne einen Vorwurf daraus machen kann, daß sie scheint und beim Scheinen so manche Haut verbrennt. Andererseits gilt Wien geradezu als Brutstätte für Moralisten. Nicht nur im Bereich der Kultur, sondern ganz allgemein. Kein Ort hat je so viele Apostel gesehen. Das Moralistentum dringt in jeden Lebensbereich ein. Selbst noch die Beurteilung eines Abendkleides oder eines Fußballspiels wird primär über Standpunkte der Ethik abgehandelt. In diesem Umstand liegt auch die weltberühmte und oft zitierte Gemütlichkeit und Lustigkeit der Wiener begründet. Sie fühlen sich zu einem heiteren Wesen moralisch verpflichtet. Mit einem kreatürlichen Hang zum Humor hat das nichts zu tun. Der Wiener Humor ist Ausdruck einer sehr persönlichen Sittenstrenge. Er gehört sich.
    »Last year I was in Shanghai«, berichtete der Taxifahrer, ein Mann mit herabhängenden Wangen, geäderter Haut und glasigem Blick. »Fabulous. A crazy town. They build their new houses like on a board-game.«
    Cheng war niemals in Shanghai gewesen. Die Stadt interessierte ihn so wenig wie irgendein anderer Ort in China. Von ihm aus konnte dieses Land sich zum Kasperl machen und häßliche Hochhäuser hinstellen, bis es platzte oder einen Magendurchbruch

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