Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
jenen Auserwählten gehörte, die den Sarg Beethovens auf ihren Schultern trugen. Aus gutem Grund und in treuer Anhängerschaft.
    Und nun, zweihundert Jahre später, lebte ein Nachfahre dieser Beethovschen Hintergrundstrahlung in einem ziemlich heruntergekommenen Haus in der Adalbert-Stifter-Straße und führte das Dasein eines kleinen Gewerbetreibenden, und zwar dadurch, daß er einen Gemüsestand auf dem Leopoldstädter Karmelitermarkt betrieb. Was durchaus einen sozialen Aufstieg bedeutete, wenn man wußte, daß Bertram Umlauf über viele Jahre anderen Gemüsehändlern als Faktotum gedient hatte. Und nicht selten allein dadurch bezahlt worden war, daß er sich abends etwas von der übriggebliebenen Ware hatte aussuchen dürfen. Wieviel besser war es da, einen eigenen Stand zu besitzen, auch wenn dieser Stand nicht gerade einen reichen Mann aus Umlauf gemacht hatte.
    Es ist übrigens eine weitere spezifische Wiener Eigenart, daß die meisten Genies sich in eine solche Existenz als Gemüsehändler zurückziehen, während die Lehrstühle von ganz merkwürdig unbegabten Menschen besetzt werden. Und das ist nur gerecht. Das ist Wiener Gerechtigkeit, daß nämlich der Unbegabte nicht etwa leer ausgeht, sondern sogar auf frei gewordenen Lehrstühlen und ähnlich komfortablen Sitzgelegenheiten Platz findet, während jene mit genialen Zügen ohnehin reich beschenkten Sonderschulabgänger sich ins Kleinbürgerliche oder Abseitige zurückziehen. Freiwillig zurückziehen, wie nicht oft genug betont werden kann. Denn anderswo in Europa heißt es ja, das Genie werde unterdrückt und alles Mittelmäßige gefördert. In Wien aber wählen die meisten Genies aus freien Stücken ein ihrem Talent ungemäßes Leben. Für jemand wie Bertram Umlauf war es selbstverständlich, sich mit dem Verkauf von Gemüse und Obst über Wasser zu halten. Ein Wort der Klage war ihm fremd. Was nun wiederum als ziemlich unwienerisch bezeichnet werden muß.
    Nachdem Markus Cheng den Auftrag der norwegischen Regierung angenommen hatte, war ihm sehr bald die Frage in den Sinn gekommen, wo er denn in Wien wohnen wollte. Möglicherweise würde sich diese ganze Angelegenheit in die Länge ziehen. Somit war es nicht gleichgültig, wo er schlafen, wo er ein improvisiertes Büro errichten wollte. Ein Hotelzimmer kam dabei nicht in Frage, aus prinzipiellen wie aus sicherheitstechnischen Überlegungen. Hotels waren Fallen.
    Einen kurzen Moment dachte er an seine Ex-Frau, die seit einiger Zeit mit einem liebenswerten, noblen und rücksichtsvollen Handtaschenverkäufer namens Helwig verheiratet war und entweder ihre eigene oder die Wohnung ihres aktuellen Gatten hätte zur Verfügung stellen können. Aber so freundschaftlich das Verhältnis zu seiner Geschiedenen auch war, schwang dennoch etwas wie Bitterkeit mit. Die Bitterkeit, die man etwa empfindet, wenn man ein gutes Fernsehprogramm versäumt oder einen schönen Tag verschläft. Oder, eines finanziellen Engpasses wegen, ein seltenes, frühes Mickey-Mouse-Heft veräußert. Es tut einfach weh, daran erinnert zu werden. Weshalb Cheng es unterließ, seine Ex-Frau von seinem Wien-Besuch zu benachrichtigen. Auch kam er gar nicht erst auf die Idee, alte Freunde anzurufen. Alte Freunde waren wie alter Spinat. Kalt. Von den Giftstoffen einmal abgesehen.
    Daß die Wahl dann auf Bertram Umlauf fiel, war eigentlich geradezu logisch. Zwischen den beiden Männern hatte stets ein großes Vertrauen bestanden, niemals aber ein Gefühl von Intimität. Umlauf war viel zu grandios, als daß man mit ihm hätte intim werden können. Mit einem Menschen, der ernsthaft daran arbeitete, den Beweis des Fermatsatzes auf eine bestechendere Weise zu erbringen, als hundertdreißig Seiten unverständlicher, japanisch-englischer Mathematik vorzulegen, mit einem solchen Menschen vertraut werden zu wollen, hätte sich als selbstmörderisch, zumindest enervierend erwiesen. Da war es schon besser gewesen, diesem fulminanten Sonderschüler ab und zu einen Schein zuzustecken und ihn mit einer kleinen Recherche zu beauftragen.
    Das war lange her. Heute besaß der geniale Mann seinen eigenen Gemüsestand und seine eigene kleine Wohnung. Allerdings war er für zwei Tage verreist. Jemand aus seiner burgenländischen Verwandtschaft hatte das Handtuch geworfen. Somit war eine letzte Ehre zu erweisen. Was Bertram Umlauf aber nicht daran hinderte, Cheng eines der beiden Zimmer in der Adalbert-Stifter-Straße zur Verfügung zu stellen. Ohnehin war ihm dieser

Weitere Kostenlose Bücher