Ein dickes Fell
kaum ankommen. Ich könnte noch heute abend fliegen, den Samstag in Stuttgart verbringen und Sonntag den ersten Flieger nach Wien nehmen.«
»Da müßten wir Ihr Treffen mit Smolek verschieben. Der Mann ist ein wenig kleinlich, wenn es um seine Termine geht. Nicht, daß er viel zu tun hätte, aber er scheint mir ein über Gebühr stolzer Mensch zu sein.«
»Er wird diese kleine Korrektur überleben.«
»Sie lassen sich nicht umstimmen?« fragte Dalgard.
»Lieber verzichte ich auf diesen Job. Das mit dem Weg, den man zurückgeht, ist mir heilig. Direkt nach Wien zu reisen, käme mir vor, als würde ich ein Zimmer nicht wieder mittels einer Türe verlassen, sondern durch den Kamin flüchten.«
»Krasser Vergleich«, meinte Dalgard. »Aber gut, wenn Sie unbedingt wollen.«
Der große Mann mit Bauchbrust sah auf seine Armbanduhr, stellte fest, daß es kurz vor elf war, griff dann nach seinem Handy, entschuldigte sich kurz und trat aus dem Zimmer auf den Gang hinaus. Ein paar Minuten später kam er zurück und erklärte, Cheng könnte um sechs am Abend abreisen. Allerdings würde der Flug über Zürich gehen. Ein Direktflug sei nicht möglich. Cheng müsse sich schon damit anfreunden, auf dem Weg nach Stuttgart Züricher Boden unter den Füßen zu spüren.
»Ausgezeichnet!« rief Cheng aus. »Über Zürich kam ich damals nach Kopenhagen. Somit hat alles seine beste Ordnung. Selbst noch im Detail einer … Schweizer Brücke.«
»Ich buche also.«
»Ja, tun Sie das. Und vergessen Sie nicht meinen Hund. Ein Zwinger im Laderaum kommt nicht in Frage.«
»Das ist mir schon klar«, sagte Dalgard. »Das wäre, als wollte man Sherlock Holmes’ Assistenten Dr. Watson in das Fahrradabteil eines Zuges sperren.«
»Wer denkt sich hier die krassen Vergleiche aus?« schüttelte Cheng den Kopf und schenkte dem schlafenden Lauscher einen stolzen Blick, der wohl besagen sollte, daß der überschätzte Dr. Watson bei weitem nicht an einen solchen Hund heranreichte. Wobei Cheng alles andere als einer dieser geisteskranken, in ihrer Tierliebe lebenslänglich inhaftierten Menschen war. So wenig wie Lauscher jemals Anstalten gemacht hatte, eine hündische Abhängigkeit und Treue zu zelebrieren. Nein, diese beiden Wesen gehörten zusammen, wie Kaffee und Zucker zusammengehören, wobei ja der Kaffee und der Zucker durchaus allein bestehen können, also nicht etwa als ein Gemisch dieselbe Dose zu füllen brauchen. Daß Lauscher Cheng auf seinen Spaziergängen begleitete und daß Cheng die Ernährung des Hundes sicherstellte, wurde von beiden als Selbstverständlichkeit empfunden. Kein Grund, sich tiefe Gefühle einzureden.
Wenn nun Cheng darauf beharrte, den Hund mitzunehmen, so darum, weil dies der Anstand verlangte. Denn bei aller Ungebundenheit von Tier und Mensch, war dennoch ein Bild zu erfüllen, das Bild von Hund und Herr. Schließlich stellt man den Zucker auch nicht in der Garage ab, sondern sieht zu, daß er in der Nähe des Kaffees steht. Also in der Küche. Cheng und Lauscher befanden sich in der Küche ihres gemeinsamen Lebens. Und dabei würde es auch bleiben.
»Soll ich Sie zum Flughafen bringen lassen?« fragte Dalgard.
»Nicht nötig. Ich beginne einen Auftrag gerne, indem ich mich in ein Taxi setze. Es ist wie im Film. Jemand steigt in ein Taxi, und wir wissen, daß er jetzt einen Fehler macht.«
»Fehler gehören dazu«, meinte Dalgard. »Allerdings sollte man aus ihnen lernen.«
»Man sollte ihre eigentliche Bedeutung erkennen«, sagte Cheng. »Fehler sind genaugenommen gelöste Rätsel. Es hat etwas Reizvolles, den Sinn eines Fehlers zu begreifen. Ganz gleich, ob man daraus noch etwas lernen kann oder nicht.«
»Das fatalistische Wesen des Detektivs«, definierte Dalgard abfällig, zog sich seinen Mantel über und ging mit einer seitlichen Bewegung, den Blick weiterhin auf Cheng gerichtet, zur Türe, deren Klinke er wie einen Gänsehals packte.
»Aber nein!« widersprach Cheng. »Ich bin ein vorsichtiger, ängstlicher Mensch, dem es gar nicht gleich ist, wo und wie er endet. Aber es wäre töricht, sich den Erfolg, etwas begriffen zu haben, dadurch nehmen zu lassen, daß dieses Begreifen nichts mehr nutzt. Der Mensch – ganz allgemein gesprochen – kommt immer zu spät. Die Typen da, die auf Godot warten, warten natürlich auf jemand, der längst hier war.«
»Existentialist also«, sagte Dalgard, den Gänsehals drückend.
»Nüchtern«, antwortete Cheng. »Einfach nüchtern.«
Dalgard hob seine Hand
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