Ein dickes Fell
konnte diesen Cheng geschickt haben, wenn nicht Apostolo Janota? Janota mußte Wind davon bekommen haben, daß Nora Besuch erhalten hatte. Und von der guten Frau Doktor Hagen wußte er wohl, daß Mascha Reti dahintersteckte. Da waren alle seine Alarmglöckchen auf einmal losgegangen.
So oder so ähnlich mußte es gewesen sein. Zumindest dann, wenn Mascha Retis Vorwürfe nicht völlig aus der Luft gegriffen waren und Apostolo Janota in irgendeiner Form tatsächlich ein Monster war. Wovon Anna nun mal ausging, auch wenn dies für ihre Entscheidung, den Auftrag anzunehmen, keine Rolle gespielt hatte. Dafür hatte allein die Erscheinung Nora Janotas den Ausschlag gegeben. Dieses Huhn von einem Menschen. Allerdings ein Huhn auf einem Podest.
Freilich hatte Anna geglaubt, Zeit zu haben. Was sich nun als Irrtum herausstellte. Sie hatte keine Zeit. Sie saß einem Mann gegenüber, dessen Aufgabe höchstwahrscheinlich darin bestand, zu ermitteln, welche Rolle sie in dieser Geschichte spielte und aus welchem Grund sie von Mascha Reti zu deren Enkelin Nora Janota geschickt worden war.
Daß ich eine Killerin bin, dachte Anna, weiß er nicht, dieser Cheng. Kann er nicht wissen. Woher denn auch? Er steht noch am Anfang. Er will herausbekommen, was mit mir los ist. Was ich mit Nora und ihrer Großmutter zu schaffen habe. Darin besteht sein Job.
Vielleicht aber ging sein Job weit darüber hinaus. Mascha Reti hatte davon gesprochen, daß Apostolo Janota einen Killer losschicken würde. War Cheng dieser Killer? Nun, für Anna Gemini wirkte dieser gerade mittels seiner Einarmigkeit gewandte Mann sehr viel eher als ein Killer, denn als ein Detektiv. In ihrer Vorstellung hatte ein Detektiv etwas von einem Schlammteufel, also einer Amphibie, die nicht nur zwischen Wasser und Land pendelte, sondern auch noch mit der Uneindeutigkeit einer Dauerlarve behaftet war.
Cheng ein Schlammteufel? Das nun wirklich nicht. Eher eine Schlange, auch wenn das nun wieder ziemlich chinesisch klang.
Im Grunde hatte Anna Gemini gar nicht vorgehabt, zu jenem Konzert zu gehen. Die Karten waren mit der Post gekommen. Dazu eine Notiz von Mascha Reti, in der sie empfahl, sich Janota einmal aus der Nähe anzusehen, da er seine »Symphonie für Tierfilme« selbst dirigieren werde. Allein sein Dirigat beweise, daß er nie und nimmer ein Mensch, sondern eine Maschine sei.
Es war nicht sicher, ob Reti bereits informiert war, daß Anna sich entschlossen hatte – Maschine hin oder her –, den Auftrag anzunehmen. Smolek freilich wußte davon. Anna hatte den kleinen Gott auf dem Inzersdorfer Friedhof getroffen und erklärt, sie nehme den Auftrag an, müsse sich aber noch überlegen, welcher Ort der geeignetste sei. Auch der passendste. Janota etwa auf der Toilette einer Imbißstube abzuknallen, widerstrebte Gemini. Natürlich gab es auch Künstler, die nichts anderes verdienten, als neben einem Getränkeautomaten zu sterben. Doch ein Gefühl sagte Gemini, daß dem Tondichter Janota etwas Besseres zustand.
Doch nun geriet die ganze Angelegenheit ins Schleudern. Zumindest ging alles sehr viel rascher, als es Anna lieb war. Umso mehr schien es ihr angeraten, zu handeln. Die Zeit zu nutzen, die blieb, bis dieser Cheng so weit war, selbst etwas Einschneidendes zu unternehmen. Etwas, das über »Dobrowsky« hinausführte.
»Also, Herr Cheng«, drängte Anna, »was ist? Begleiten Sie mich?«
»Gerne. So kann ich zumindest versuchen, am Ball zu bleiben. Ich meine, wegen des Gemäldes.«
»Ich hoffe, Sie werden nicht lästig dabei.«
»Kein Wort mehr über das Bild. Heute abend, meine ich«, versprach Cheng.
»Gut«, sagte Anna und dachte, daß wenn dieser Abend vorbei sein würde, sich auch das Dobrowsky-Thema erledigt hätte. Unter anderem. Sodann bestimmte sie, sich mit Cheng um acht Uhr gegenüber dem Gartenbaukino treffen zu wollen.
»Kino?« staunte Cheng.
»Ja. Janotas Vorliebe für Filme. Selbst wenn er gerade keine Filmmusik schreibt, schreibt er Musik zu Filmen. Musik für Filme, Musik gegen Filme. Alle seine Aufführungen finden in Kinos statt. Da ist er rigoros, der gute Mann. Er hat ein Verbot ausgesprochen, seine Kompositionen in Konzerthäusern zu spielen. Für dieses Verbot wird er von einigen Leuten geradezu vergöttert. Aber davon wissen Sie wohl.«
»Wie ich schon sagte«, blieb Cheng hartnäckig, »solche Musik ist nicht mein Thema. Aber ich komme sehr gerne. Im Gartenbaukino war ich das letzte Mal …«
Er dachte nach. Dann sagte er: »Das
Weitere Kostenlose Bücher