Ein dickes Fell
er selbst, der Auftraggeber, sich später von der Kunstausübung entfernt und gänzlich der Industrie zugewandt habe, sei er stets bemüht gewesen, Bilder seines Lehrmeisters zu erstehen. Nicht kritiklos, nicht ohne den Anspruch, nur gelungene Werke in die eigene Sammlung aufzunehmen. Wer schon bereit sei, seine Seele zu opfern, wolle das nicht wegen einer Belanglosigkeit tun. Und natürlich seien auch Meister nicht davor gefeit, Belanglosigkeiten herzustellen.
»Und Ihr Auftraggeber«, folgerte Anna, »meint also, mein Dobrowsky ist ein meisterhafter Dobrowsky. Nicht wahr? Da frage ich mich nur, warum er ihn nicht selbst ersteigert hat.«
»Ein Mißgeschick, an dem ich leider selbst etwas Schuld trage. Darum bin ich ja hier, um die Sache auszubügeln.«
»Verzeihen Sie, aber Ihr Mißgeschick geht mich nichts an. Bügeln Sie woanders. Was ich sagen will: Ich verkaufe das Bild nicht. Sie brauchen sich also gar nicht bemühen, mir einen Betrag zu nennen, von dem Sie meinen, er würde mich schwach werden lassen. Es gibt keine Beträge, die mich schwach machen.«
»Das ist schade, liebe Frau Gemini. Denn das wäre natürlich der einfachste Weg gewesen.«
»Gottes willen, was haben Sie vor? Wollen Sie mich ausrauben lassen? Wollen Sie meinen Sohn entführen und mich erpressen?«
Cheng zeigte sich ehrlich entrüstet. Er hob das Kinn an und drehte den Kopf zur Seite, wie um einer unangenehmen Berührung zu entkommen. Als bringe er sich vor einem feuchten Kuß in Sicherheit. Zugleich erklärte er, in keiner Weise beauftragt zu sein, irgendwelche kriminellen Handlungen vorzunehmen. Das sei nicht sein Ding.
»Schon gut«, meinte Anna Gemini und vollzog eine kleine Geste der Entschuldigung. Eher unsichtbar als klein.
»Allerdings«, wandte Cheng ein, den Kopf wieder gerade stellend, »können Sie nicht verlangen, daß ich so einfach aufgebe. Dafür werde ich schließlich nicht bezahlt, dafür, in die Knie zu gehen.«
»Vergessen Sie Ihre Knie. Sie werden sich die Zähne ausbeißen«, prophezeite Anna und fragte wie nebenbei, ob ihm der Glühwein nicht schmecke. Er hätte kaum davon getrunken.
»Der Glühwein ist scheußlich«, sagte Cheng.
»Werden Sie jetzt beleidigend, weil ich Ihnen meinen Dobrowksy nicht verkaufe?«
»Beleidige ich Sie denn, indem ich die Qualität dieser Brühe in Frage stelle?«
»Sie haben recht«, sagte Anna.
»Womit?«
»Daß der Wein scheußlich ist. Und daß es mich nicht kümmert.«
»Trotzdem wissen Sie doch wohl ein gutes Essen zu schätzen«, stellte Cheng mehr fest, als daß er fragte.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich möchte Sie zum Abendessen einladen«, sagte Cheng.
Anna Gemini lachte auf, nicht so laut, daß es unhöflich geklungen hätte. Vielmehr besaß ihre Amüsiertheit einen bitteren Ton. Als sei es lange her, von einem Mann zum Abendessen eingeladen worden zu sein.
Sie lachte zu Ende, dann fragte sie kalt: »Was erwarten Sie sich davon?«
»Es ist ein Versuch.«
»Was für ein Versuch? Glauben Sie vielleicht, daß wenn ich Sie nett finde, ich meinen Dobrowsky hergebe? Ich finde Sie auch ohne Abendessen nett. Den Dobrowsky kriegen Sie trotzdem nicht.«
Cheng lehnte sich zurück wie jemand, der damit drohte, nie wieder dieses Haus zu verlassen. Bloß weil man ihn nett fand.
Anna Gemini wiederum ließ sich – wie so oft in letzter Zeit – zu einer Improvisation hinreißen. Sie sagte: »Machen wir es umgekehrt. Ich lade Sie ein. Heute abend findet ein Konzert statt. Eine Uraufführung. Haben Sie Lust?«
Cheng überlegte, dann sagte er: »Musik ist nicht wirklich meine Sache. Aber im Falle einer Uraufführung kann man wenigstens sagen, daß die Musik frisch ist.«
»Das klingt nach frischem Fisch.«
»Ja, warum nicht?« meinte Cheng. »Ich esse lieber einen frischen Kabeljau als eine verdorbene Makrele, obgleich ich Makrelen mag und Kabeljau nicht. Anders gesagt: Ich habe früher immer gemeint, wenn schon Musik, dann die Rolling Stones. Aber seit der letzten Platte weiß ich, daß eine verdorbene Makrele einfach nicht schmecken kann.«
»Die Musik«, erläuterte Anna, »um die es heute abend geht, ist ein wenig sperriger als die der Stones. Aber nicht uninteressant. Der Komponist heißt Apostolo Janota. Schon mal gehört?«
»Tut mir leid, nein. Wenn ich mich nicht vorbereiten kann, sieht es mit meiner Bildung traurig aus. Auf Dobrowsky war ich vorbereitet, nicht auf sperrige Musik.«
Auch so eine Lüge, dachte Anna. Die größte von allen. Denn wer
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