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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zu ihr herzustellen.
    Eine harmlose Lüge für eine harmlose Frau.
    Harmlos? Chengs Erfahrung mit »harmlosen« Frauen war Legende. Aber er war über den Punkt hinausgekommen, wo ihn die Vorstellung störte, die Dinge könnten sich wiederholen. Das taten sie ohnedies in einem nur beschränkten Maße. Man verlor denselben Arm kein zweites Mal.
     
    Zunächst einmal war aber wichtig, nach Hause zu gelangen, um die Schuhe zu wechseln und Lauscher zu füttern. Weshalb Cheng ein wenig herumirrte, schließlich in einen Bus stieg und einige Stationen lang die vorsichtige Fahrt über die schneebedeckte, jedoch bereits mit Streusand versehene Straße mitmachte. An einem Kirchenplatz stieg er aus, um in ein Taxi zu wechseln.
    Da er zu wenig Zeit hatte, den kreuzfahrtartigen Charakter üblicher Taxitouren über sich ergehen zu lassen, erklärte er, weder ein Chinese noch ein Trottel zu sein und auf dem schnellsten Weg in die Adalbert-Stifter-Straße zu wollen.
    »Bei dem Wetter?« fragte der Lenker.
    »Was hat das mit dem Wetter zu tun? Haben Sie vor, mich dreimal um die Stadt zu fahren, nur weil’s gerade geschneit hat?«
    »Sie beleidigen mich«, beschwerte sich der Fahrer, ohne sich umzudrehen. Wahrscheinlich Inder. Dem Klimbim nach zu urteilen, der von seinem Rückspiegel baumelte.
    »Fahren Sie jetzt bitte los«, sagte Cheng. »Und tun mir einfach den Gefallen, einen halbwegs direkten Weg zu nehmen.«
    Der Fahrer sagte etwas in seiner Landessprache. Es klang, als zerbeiße er eine Mundharmonika.
    »Ja, ja«, murmelte Cheng und vergrub sich in die Wärme, die das Innere des Wagens polsterte.
     
    »Kennst du einen Apostolo Janota?« fragte Cheng.
    »Hat eine Menge Filmmusik geschrieben«, antwortete Bertram Umlauf, der so aussah, als sei er nur deshalb auf einem ländlichen Begräbnis gewesen, um sich ein paar Tage nicht zu rasieren.
    »Das mit der Filmmusik ist mir bekannt. Gibt es sonst noch was, das ich wissen sollte?«
    »Wieso? Was hast du mit dem Mann zu tun?«
    »Eigentlich nichts«, sagte Cheng. »Aber die Frau, mit der ich zu tun habe, hat mich für heute abend zu einem Janota-Konzert eingeladen.«
    »Oh ja, die Aufführung im Gartenbau!«
    »Genau die.«
    »Janota ist beliebt«, sagte Umlauf, »ich meine, beliebt in Wien. Er sieht gut aus, kennt die Welt nicht nur vom Hörensagen, wie die meisten von unseren Prominenten, und produziert eine Musik, die bei aller Strenge einen nicht umbringt. Gesellschaftsfähige Avantgarde, würde ich sagen. Delikat und pompös. Pfiffig. Filmreif eben.«
    »Und die Person Janota?«
    Umlauf zuckte mit den Schultern und meinte: »Was soll ich sagen? Der Typ hat gerade ein paar Schlagzeilen gemacht, indem er eine Hymne komponiert hat.«
    »Was für eine Hymne?«
    »Für eine Nation, die es gar nicht gibt. Zumindest nicht anerkannterweise. Irgend so eine Insel in der Antarktis, die ein paar Amateurfunker besetzt halten. Symbolisch, versteht sich. Von ihren Funkstationen aus. Als erstes haben sie die Einfuhr sämtlicher europäischer Produkte untersagt. Nicht, daß man dort etwas einführen könnte. Auf der Insel leben ein paar tausend Pinguine und Robben. Und jetzt haben diese Robben also eine Nationalhymne bekommen. Jedenfalls ist das die Art von Schlagzeilen, die Janota macht. Was Persönliches kommt da nicht zur Sprache. Rauschgift, Weiber und so. Im Grunde scheint der Mann ziemlich solide zu sein.«
    »Na ja, wahrscheinlich spielt das ohnehin keine Rolle. Ich wollte mich nur auskennen.«
    »Kommst du weiter in deiner Sache?« fragte Umlauf.
    »Sieht so aus. Allerdings habe ich den Eindruck, mich auf einer gemähten Wiese zu befinden. Und du weißt ja, was von gemähten Wiesen zu halten ist.«
    »Wenn man nicht sagen kann, wer gemäht hat …«
    »Genau das meine ich«, zwinkerte Cheng und kraulte Lauscher hinter den Ohren.
    Der Hund lag auf seinem Schoß. Auch wenn das unnötig war. Aber der Sinn einer jeden Familie, so klein sie sein mochte, bestand natürlich darin, sich hin und wieder auf engstem Raum zu begegnen. Also in Nestern, Höhlen, in Betten oder auf Sofas. Im Falle Chengs und Lauschers genügte ein Fauteuil.
    »Ich lasse den Hund hier«, sagte Cheng. »Ist das in Ordnung?«
    »Wenn du zurückkommst«, meinte Umlauf, »ist es in Ordnung.«
    »Versprochen!« sagte Cheng, vergleichbar den vielen Leuten, die sich so leichthin mit »auf Wiedersehen!« verabschieden. Als könnte man das guten Gewissens sagen. Als müßte man nicht mit derselben Berechtigung, mit der man in

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