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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist länger her, als ich mir vorstellen kann.«
    »Ausgezeichnet! Es wird Sie sicher aufmuntern, die eigene Jugend zu schnuppern, auch wenn sich dort einiges verändert haben dürfte.«
    Cheng erhob sich und blickte nach draußen. Der Sturm hatte sich gelegt. Der Schnee fiel gemächlich. Die Dämmerung drängte sich vor das dünne Tageslicht hin. Cheng fuhr mit einer Fingerkuppe über die polierte Fläche des Loos-Tisches. Es war, als wollte er solcherart beweisen, wie zärtlich er sein konnte.
    »Seien Sie pünktlich«, sagte Anna, wie um dieser Zärtlichkeit etwas Sachliches entgegenzusetzen. Sodann begleitete sie Cheng in den Vorraum, half ihm in seinen Mantel und öffnete die Türe. Die Kälte drang so heftig ein, als hätte sie die ganze Zeit über an der Türe gehorcht.
    »Ich freue mich auf später«, formulierte Cheng seine Verabschiedung.
    »Achten Sie auf Ihre Schuhe«, sagte Anna Gemini und zeigte auf den zugeschneiten Weg.
    Was hätte Cheng tun sollen? Fliegen?
     
    Anna Gemini ging zurück ins Zimmer, nahm das Telefon, wählte eine Nummer und sagte nichts anderes als: »Heute abend.«
    Dann legte sie auf.

18 Konzert mit Waschmaschine
    So richtig zufrieden war Cheng nicht. Jetzt einmal abgesehen davon, daß Schneewasser in seine tatsächlich recht dünnwandigen Halbschuhe eindrang, störte ihn der Umstand, daß Anna Gemini das Ruder an sich genommen und die Gestaltung des Abends bestimmt hatte.
    Aber was war ihm anderes übriggeblieben, als ihrer Einladung zu folgen? Es stimmte schon, er mußte am Ball bleiben. Denn auch wenn er nun über den Namen und die Adresse dieser Frau verfügte, deren Sohn das Zeichen der Kartäuser auf seiner Mütze trug, so reichte dies bei weitem nicht aus, seinem norwegischen Kunden gegenüber zu behaupten, die Mörderin Einar Gudes entlarvt zu haben.
    Vor allem irritierte Cheng, wie schnell alles gegangen war, wie perfekt Smoleks Informationen zu sein schienen. Überhaupt war ihm Smolek suspekt. Was tat dieser Mann? In einem österreichischen Archiv sitzen und für die norwegische Regierung arbeiten. War so etwas normal zu nennen? Wenngleich natürlich das Normale auf dieser Welt ein Würmchen war, das noch keiner gesehen hatte.
    In jedem Fall wollte Cheng diesem Kurt Smolek gegenüber eine gewisse Vorsicht an den Tag legen. Und somit auch alles hinterfragen, was dieser Mann so selbstverständlich auf dem Tablett servierte.
    Die Sache mit dem Dobrowsky-Gemälde hingegen war Cheng quasi in den Schoß gefallen. Denn beim Eintreten in Anna Geminis Haus hatte er ja noch immer nicht gewußt, wie er sein Erscheinen begründen sollte. Und als er nun ein wenig hilflos im Vorraum gestanden hatte, war sein Blick auf dieses Bild gefallen, eine in vielen Blautönen gehaltene, hügelige Landschaft, deren schmaler, heller Himmel den oberen Bildrand in der Art einer breiten Krone bestimmte.
    Cheng hatte augenblicklich den Stil Dobrowskys erkannt. Was alles andere als selbstverständlich war. Denn wie bereits erwähnt, verfügt das Werk Dobrowskys nicht über jene Prägnanz, nicht über jenen unverwechselbaren Duktus, aus dem sich ein weithin bekanntes Logo hätte ergeben können. Man mußte sich schon auskennen. Und Cheng kannte sich nun mal aus. Was nichts damit zu tun hatte, daß er als gelernter Landschaftsarchitekt auch durch das Studium der Kunstgeschichte gegangen war. Wie man durch einen Kanalschacht geht. Nach diesem Studium hätte er keine Suppendose von einem Warhol unterscheiden können. Nein, sein Wissen die Malerei betreffend verdankte er den vielen Stunden, da er alleine in seinem Lerchenfelder Büro gesessen und sich Kunstbücher angesehen hatte. Kunstbücher waren wie Modejournale. Man konnte darin blättern, ohne sich großartig aufregen oder anstrengen zu müssen. Ein wenig Bildung blieb dabei aber dennoch hängen.
    Wenn also Cheng dieses Bild als ein »schönes« bezeichnet hatte, dann war dies alles andere als eine Phrase gewesen, sondern seiner Kenntnis der Materie entsprungen. Allerdings war er erst im Angesicht des Loos-Tisches auf die Idee gekommen, daß Anna Gemini eine echte Sammlerin war und daß er vorgeben könnte, ihr im Auftrag eines namenlosen Kunden die Dobrowsky-Landschaft abluchsen zu wollen.
    Er war richtiggehend glücklich ob dieses Einfalls gewesen, da er ja die völlige Unschuldigkeit Anna Geminis nicht ausschließen wollte und für diesen Fall sich selbst damit beruhigen konnte, eine gar harmlose Lüge zur Anwendung gebracht zu haben, um den Kontakt

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