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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Raum und sagte: »Ein Dobrowsky. Sehr schön.«
    »Oha! Sie verstehen sich auf Kunst«, konstatierte Anna, während ihr gleichzeitig auffiel, daß der linke Ärmel von Markus Chengs Mantel flach in die Tasche führte.
    »Ich kenne mich mit allem aus«, erklärte Cheng. »Mit allem ein wenig. Zum Spezialisten hat es nicht gereicht. In keiner Disziplin. Leider. Darum der Beruf des Detektivs. Ein Beruf für Autodidakten.«
    »Autodidakten kenne ich mehr, als mir lieb ist. Allerdings sind Sie der erste Detektiv, der mir begegnet«, sagte Anna und dachte sich, daß sie auf diese Weise auch gleich mit dem ersten einarmigen Detektiv ihres Lebens zusammentraf. Manche Dinge geschehen, wie man so sagt, in einem Aufwasch.
    Cheng beteuerte, daß es eigentlich nicht Usus bei ihm sei, mit der Türe ins Haus zu fallen. Ja, es wäre ihm peinlich, wie sehr sein Vorgehen das Klischee bediene, gerade Detektive würden notorisch ihre Schuhspitzen in Türspalten schieben. Er wolle nicht mißverstanden werden.
    »Inwieweit?« fragte die Hausherrin.
    »Ich will Sie nicht überfallen.«
    »Das wird sich erst entscheiden«, meinte Anna Gemini und half dem Mann aus seinem Mantel. Seine Sprache wies ihn eindeutig als jemand aus, der in dieser Stadt aufgewachsen war. Als jemand, dem das Wienerische wie eine lebenslängliche Mundfäule – oder auch wie eine ewige Blüte – einsaß. Das schuf nun doch ein wenig Vertrauen. So wie man als Seehund wohl eher einem anderen Seehund vertraut als etwa Eisbären oder Schneeleoparden. Aber selbstverständlich hörte dieser Mann nicht auf, eine Bedrohung darzustellen. Wahrscheinlich sogar eine größere, als Anna anfangs befürchtet hatte. Ein Schneeleopard als Seehund verkleidet.
    Zunächst jedoch präsentierte sich dieser Markus Cheng als ein gut gekleideter, taktvoller Mensch, dessen Gesicht einige feine Narben aufwies, die ihm eigenartigerweise etwas Jugendliches verliehen.
    Tatsächlich aber hatte er die Vierzig wohl schon einige Zeit hinter sich. Wobei es mitnichten sein dunkles Haar war, das seinen ungefähren Jahrgang offenbarte. Und ebensowenig das leichte Hinken, mit dem er jetzt den Raum durchschritt. Nicht wie er hinkte, sondern wie er sich setzte, verriet sein Alter. Er setzte sich nämlich dergestalt, als wollte er nicht wieder aufstehen. Nie wieder. (Man kann dies, wenn man so will, als Lauscher-Syndrom bezeichnen, unter dem die Mehrzahl aller über Vierzigjährigen leidet, ganz gleich wie vital sie sich geben. Ein genauer Beobachter sieht es sofort: Da sitzt einer wie in einem Sitzgrab seiner selbst.)
    »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« fragte Anna, die stehengeblieben war. »Kaffee? Ein Glas Wein? Oder … wenn ich nach draußen sehe, denke ich an Glühwein. Der Winter hat begonnen.«
    Cheng sah auf seine Armbanduhr, als sei darauf der Winter abzulesen. Eine Freimaureruhr, die ein ehemaliger Kunde ihm testamentarisch vermacht hatte. Ohne dies begründet zu haben. Und weil nun Cheng der Freimaurerei vollkommen emotionslos gegenüberstand, sie weder ablehnte noch mit ihr sympathisierte, ging er davon aus, daß die Bedeutung dieser Uhr für ihn eine andere zu sein hatte als die ursprünglich intendierte. Eine andere als die, das Herz eines Freimaurers höher schlagen zu lassen. Etwa jene, die Zeit zu erfahren, worum es bei Uhren sehr viel seltener geht, als man glauben sollte.
    Tatsächlich las Markus Cheng die Zeit ab und meinte dann, daß man ruhig schon etwas trinken könne. Ohnehin sei Glühwein nicht wirklich alkoholisch zu nennen, sondern stelle eher eine »Spielerei« dar. Vergleichbar dem Aufstellen von Schneemännern oder Weihnachtsbäumen.
    »Ach ja?!« meinte Anna. Und dachte: »Holla!«
     
    Während sie den Rotwein unter bedächtigem Rühren erhitzte, blickte sie über eine Anordnung von insgesamt drei Wandspiegeln hinüber ins Wohnzimmer und beobachtete den Mann, der hier als Detektiv auftrat. Nicht, daß sie hätte sagen können, was einen typischen Detektiv ausmachte. Jedenfalls sah sich Herr Cheng zwar eingehend um, tat dies aber in einer Weise, die durchaus zu jemand paßte, der auf Anhieb einen Dobrowsky erkannte. Und der wahrscheinlich auch erkannte, daß es sich bei sämtlichen Möbeln im Raum – ob Jugendstil, Biedermeier oder klassische Moderne – um Originale handelte. Was folglich zu der Annahme führen mußte, daß die Eigentümerin dieses Hauses und dieser Einrichtung über einiges an Geld verfügte.
    Anna Geminis Sparsamkeit, ja, ihre Knausrigkeit in einigen

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