Ein diplomatischer Zwischenfall
kein Motiv.«
»Das können Sie nicht so ohne Weiteres behaupten. Motive sind sehr merkwürdige Gebilde.«
»Aber er war mit Clayton gar nicht bekannt, hat eine völlig harmlose Vergangenheit und scheint durchaus richtig im Kopf zu sein. Ich weiß nicht, was Sie sonst noch verlangen.«
»Ich möchte beweisen, dass Rich das Verbrechen nicht begangen hat.«
»Der Dame zuliebe, wie?« Inspektor Miller grinste. »Sie hat Ihnen wohl zugesetzt. Ziemlich ansehnlich, nicht wahr? Cherchez la femme – das passt hier wie die Faust aufs Auge. Wenn sie die Gelegenheit gehabt hätte, wissen Sie, hätte sie es selbst tun können.«
»Niemals!«
»Sie werden noch Ihr blaues Wunder erleben. Ich habe so eine Frau gekannt. Räumte sämtliche Ehemänner aus dem Wege, ohne mit den Wimpern ihrer unschuldsvollen Augen zu zucken. Und jedes Mal völlig gebrochen. Die Geschworenen hätten sie am liebsten freigesprochen, wenn es ihnen nur irgend möglich gewesen wäre. Aber das Beweismaterial war unumstößlich.«
»Nun, mein Freund, wir wollen nicht darüber disputieren. Ich möchte mich erdreisten, Sie um einige zuverlässige Angaben zu bitten. Was die Zeitungen drucken, ist wohl Neuigkeit – aber nicht immer Wahrheit.«
»Na, die müssen auch ihren Spaß haben. Was möchten Sie denn wissen?«
»Die Todeszeit. Und zwar so genau wie möglich, bitte.«
»Das kann nicht sehr genau sein, weil die Leiche erst am folgenden Morgen untersucht wurde. Der Tod ist schätzungsweise zehn bis dreizehn Stunden früher eingetreten. Mit anderen Worten: zwischen sieben und zehn Uhr am Abend vorher. Der Mörder hat die Schlagader getroffen. Der Tod muss also ziemlich rasch erfolgt sein.«
»Und die Waffe?«
»Eine Art italienisches Stilett, ganz klein, aber scharf wie ein Rasiermesser. Niemand hat es je zuvor gesehen oder kann sagen, woher es stammt. Das werden wir aber schon noch herausbekommen. Es erfordert nur etwas Zeit und Geduld.«
»Es hätte nicht im Verlauf eines Streites einfach in die Hand genommen werden können?«
»Nein. Der Diener behauptet, dass dergleichen in der Wohnung nicht vorhanden gewesen sei.«
»Was mich besonders interessiert, ist das Telegramm«, sagte Poirot. »Das Telegramm, das Arnold Clayton nach Schottland rief. War die Aufforderung echt?«
»Nein. Da oben gab es keine Schwierigkeiten. Der Landverkauf verlief ganz normal.«
»Wer hat dann das Telegramm geschickt – vorausgesetzt, dass überhaupt ein Telegramm existierte?«
»Es muss eins vorhanden gewesen sein. Nicht, dass wir Mrs Clayton unbedingt Glauben schenken. Aber Clayton hatte auch dem Diener gegenüber erwähnt, dass er telegrafisch nach Schottland gerufen worden sei. Ebenfalls Commander McLaren gegenüber.«
»Um welche Zeit hat er mit Commander McLaren gesprochen?«
»Sie nahmen in ihrem Klub gemeinsam einen Imbiss, und zwar gegen Viertel nach sieben. Dann fuhr Clayton in einem Taxi zu Richs Wohnung, wo er kurz vor acht eintraf. Danach…« Miller machte eine viel sagende Handbewegung.
»Hat jemand irgendetwas Merkwürdiges in Richs Verhalten an diesem Abend wahrgenommen?«
»Na, Sie kennen die Menschen ja. Nach dem Ereignis bilden sie sich ein, allerlei entdeckt zu haben, was sie – darauf möchte ich jede Wette eingehen – überhaupt nicht sahen. So behauptet Mrs Spence, Rich sei den ganzen Abend über sehr zerstreut gewesen, habe nicht immer eine richtige Antwort gegeben, als ob er ›etwas auf der Seele habe‹. Und das hatte er ja wohl auch, wenn er eine Leiche in der Truhe hatte! Er musste sich doch den Kopf darüber zerbrechen, wie er den verwünschten Kadaver fortschaffen könne!«
»Warum hat er ihn denn nicht fortgeschafft?«
»Da fragen Sie mich zu viel. Hat vielleicht den Mut verloren. Aber es war heller Wahnsinn, es bis zum nächsten Tag aufzuschieben. Er hatte die allerbeste Chance in der Nacht. Es war nämlich kein Nachtportier da. Er hätte seinen Wagen holen, die Leiche im Kofferraum verstauen, aufs Land hinausfahren und sie irgendwo abladen können. Vielleicht wäre er beim Verstauen der Leiche gesehen worden. Aber das Haus liegt in einer Seitenstraße, und außerdem ist ein Hof vorhanden. Gegen drei Uhr morgens, sagen wir mal, hätte er eine gute Gelegenheit gehabt. Aber was tut er stattdessen? Geht zu Bett, schläft bis in die Puppen und findet beim Erwachen die Polizei in der Wohnung!«
»Er ging zu Bett und schlief gut, genau wie ein unschuldiger Mann.«
»Wenn Sie wollen, können Sie es auch so auslegen. Aber
Weitere Kostenlose Bücher