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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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der Bart, die buschigen Augenbrauen, alles ist perfekt. Man hegt keine Zweifel: Mr Henry Gascoigne lebt noch um diese Zeit. Dann vollzieht sich eine schnelle Metamorphose in der Toilette, und zurück geht’s im Eiltempo nach Wimbledon zu einem Bridge-Abend. Das Alibi ist perfekt.«
    Mr Bonnington sah ihn an. »Aber der Stempel auf dem Brief?«
    »Oh, das war einfach. Der Stempel war verschmiert. Warum? Er war mit Ausziehtusche vom zweiten auf den dritten November geändert worden. Du hättest es nicht bemerkt, wenn du nicht danach gesucht hättest. Und dann war da noch die Sache mit den Schwarzdrosseln.«
    »Schwarzdrosseln?«
    »Vierundzwanzig Schwarzdrosseln in Pastete gebacken. So nennt man doch bei euch hier die Brombeeren. Gut, sagen wir Brombeeren, wenn du ganz genau sein willst. Du musst wissen, Georges Schauspielkunst hat trotz allem nicht gereicht. Erinnerst du dich noch an die Geschichte mit dem Jungen, der sich mit schwarzer Farbe anmalte, um Othello zu spielen? Du musst ein so guter Schauspieler sein wie er, wenn du ein perfektes Verbrechen begehen willst. George sah wie sein Onkel aus, er ging wie sein Onkel und sprach wie sein Onkel, und er trug den Bart und die Augenbrauen seines Onkels, aber – er vergaß, wie sein Onkel zu essen. Er bestellte sich, was er selbst gerne aß. Brombeeren nämlich, und Brombeeren verfärben die Zähne. Die Zähne der Leiche waren aber nicht verfärbt, und trotzdem aß Henry Gascoigne an diesem Abend Brombeeren im ›Gallant Endeavour‹. In seinem Magen fand man keine Brombeeren. Ich erkundigte mich heute Morgen danach. Und George war so dumm gewesen, den Bart und den Rest der Aufmachung zu behalten. Oh! Es gibt eine Menge Beweismaterial, wenn man erst einmal danach sucht. Ich besuchte George und brachte ihn aus der Fassung. Und das war das Ende. Er aß übrigens schon wieder Brombeeren. Der Bursche ist vielleicht gierig – er isst gerne. Eh bien, wenn ich mich nicht sehr täusche, wird diese Gier ihn jetzt an den Galgen bringen.«
    Die Kellnerin brachte ihnen zwei Portionen Brombeer-Apfeltorte.
    »Nehmen Sie die Torte bitte wieder mit«, sagte Mr Bonnington. »Man kann nie vorsichtig genug sein. Bringen Sie mir eine kleine Portion Sagopudding.«

Der Traum
     
    R uhig und abschätzend ließ Hercule Poirot seinen Blick über das Haus und dessen Umgebung schweifen: die Läden, das große Fabrikgebäude zur Rechten, die billigen Etagenhäuser gegenüber.
    Dann fasste er noch einmal Northway House ins Auge, dieses Relikt einer früheren Zeit – einer Zeit, die viel Muße und keinen Platzmangel gekannt hatte, als dieses vornehme, arrogant wirkende Haus noch inmitten grüner Felder lag. Jetzt war es ein Anachronismus, vom hektischen Strom des modernen London umflutet und vergessen, und kaum ein Mensch hätte sagen können, wo es stand oder gar, wem es gehörte, obwohl der Eigentümer als einer der reichsten Männer der Welt bekannt war. Aber Geld kann Publizität nicht nur fördern, sondern auch unterdrücken. Benedict Farley, dieser exzentrische Millionär, zog es vor, die Wahl seiner Residenz nicht an die große Glocke zu hängen. Er selbst ließ sich selten in der Öffentlichkeit sehen. Von Zeit zu Zeit erschien er bei Vorstandssitzungen oder Konferenzen, wo er mit seiner hageren Figur, seiner Hakennase und seiner krächzenden Stimme die versammelten Direktoren mit Leichtigkeit beherrschte. Abgesehen davon war er eine wohl bekannte Persönlichkeit. Man hörte von seiner seltsamen Knauserigkeit und seiner unglaublichen Großmut und auch von seltsamen Eigenheiten – von seinem berühmten Flickenschlaf rock, der jetzt achtundzwanzig Jahre alt sein sollte, seiner unveränderlichen Diät von Kohlsuppe und Kaviar, seiner Abscheu vor Katzen. Alles dieses war dem Publikum bekannt.
    Hercule Poirot war es ebenfalls zu Ohren gekommen. Aber das war auch alles, was er von dem Mann wusste, dem er gerade einen Besuch abstatten wollte. Der Brief, der in seiner Manteltasche steckte, verriet ihm nicht viel mehr.
    Nachdem er dieses melancholische Wahrzeichen eines vergangenen Zeitalters eine Weile schweigend gemustert hatte, stieg er die Stufen zur Haustür empor und drückte auf die Klingel, wobei er einen Blick auf die elegante Armbanduhr warf, die endlich seine alte geliebte »Kartoffel« aus früheren Tagen ersetzt hatte. Ja, es war genau halb zehn. Wie immer, war Poirot auf die Minute pünktlich.
    Die Tür öffnete sich genau nach der angemessenen Zeitspanne, und ein vollkommenes

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