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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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niemandem trauen, wenn man reich ist. Nein, nein, das geht nicht.«
    »Sie wünschten mich zu konsultieren«, mahnte Poirot sanft.
    »Ganz recht. Kaufe immer das Beste. Das ist mein Motto. Gehe zum Fachmann ohne Rücksicht auf die Kosten. Es ist Ihnen sicher aufgefallen, Monsieur Poirot, dass ich nicht nach Ihrem Honorar gefragt habe. Das werde ich auch nicht tun. Schicken Sie mir später die Rechnung – ich werde schon keine Umstände machen. Diese Idioten in der Molkerei bildeten sich ein, mir zwei neun für Eier berechnen zu können, während der Marktpreis zwei sieben ist – diese Schwindlerbande! Ich lasse mich nicht beschwindeln. Aber mit dem Mann an der Spitze ist es anders. Er ist das Geld wert. Ich stehe selbst an der Spitze. Ich weiß Bescheid.«
    Hercule Poirot erwiderte auch hierauf nichts. Er hörte aufmerksam zu, den Körper ein wenig zur Seite geneigt.
    Hinter seiner unbeweglichen Fassade verbarg er eine gewisse Enttäuschung. Er konnte nicht genau sagen, worum es eigentlich ging. Soweit hatte sich Benedict Farley charaktergetreu aufgeführt – das heißt, er hatte der volkstümlichen Vorstellung entsprochen, und doch war Poirot enttäuscht.
    Dieser Mann, sagte er sich, ist ein Scharlatan, nichts weiter als ein Scharlatan!
    Er hatte andere Millionäre gekannt, die auch exzentrisch waren. Aber in beinahe jedem Fall hatte er eine gewisse Kraft gespürt, eine innere Energie, die Achtung gebot. Wenn sie einen Flickenschlafrock getragen hätten, so hätten sie es getan, weil sie einen solchen Schlafrock gern trugen. Doch Benedict Farleys Schlafrock war in erster Linie – so schien es Poirot jedenfalls – ein Bühnenrequisit. Und der Mann selbst war im Wesentlichen theatralisch. Jedes Wort, das er äußerte, war die reinste Effekthascherei, davon war Poirot überzeugt.
    Er wiederholte nochmals kühl: »Sie wünschten mich zu konsultieren, Mr Farley.«
    Das Verhalten des Millionärs erfuhr eine plötzliche Änderung. Er beugte sich vor, und seine Stimme sank zu einem heiseren Geflüster herab.
    »Ja. Ja. Ich möchte hören, was Sie zu sagen haben, was Sie denken… Geh an die Spitze! Das ist meine Art! Nimm den besten Arzt, den besten Detektiv – die beiden zusammen müssen es schaffen.«
    »Noch weiß ich nicht, Monsieur, worum es geht.«
    »Natürlich nicht«, fauchte Farley. »Ich habe Ihnen ja noch nichts gesagt.«
    Er beugte sich abermals vor und platzte mit einer unvermittelten Frage heraus.
    »Was wissen Sie, Monsieur Poirot, von Träumen?«
    Poirot war erstaunt. Eine solche Frage hatte er auf keinen Fall erwartet.
    »Dafür, Mr Farley, möchte ich Ihnen Napoleons Buch der Träume oder den neuesten Psychologen aus der Harley Street empfehlen.«
    Nüchtern erwiderte Farley: »Ich habe es mit beiden versucht.«
    Nach einer kleinen Pause fuhr der Millionär fort, zunächst im Flüsterton und dann in einer immer heller werdenden Stimme.
    »Es ist der gleiche Traum, Nacht für Nacht. Und ich fürchte mich, ich sage Ihnen, ich fürchte mich. Es ist immer das Gleiche. Ich bin nebenan in meinem Zimmer. Ich sitze am Schreibtisch und schreibe. Es ist eine Uhr vorhanden. Mein Blick fällt darauf, und ich sehe die Zeit: genau achtundzwanzig Minuten nach drei. Immer die gleiche Zeit, verstehen Sie. Und wenn ich die Zeit sehe, Mons i eur Poirot, weiß ich, dass ich es tun muss. Ich will es nicht tun, ich verabscheue es, aber ich muss es tun…«
    Seine Stimme war ganz schrill geworden.
    Unbeirrt fragte Poirot: »Und was müssen Sie unbedingt tun?«
    »Um achtundzwanzig Minuten nach drei«, erwiderte Benedict Farley heiser, »öffne ich die zweite Schublade von oben an der rechten Seite meines Schreibtisches, nehme den Revolver heraus, den ich dort liegen habe, lade ihn und trete ans Fenster. Und dann… und dann…«
    »Ja?«
    Im Flüsterton sagte Benedict Farley:
    »Dann erschieße ich mich.«
    Schweigen. Nach einer Weile sagte Poirot:
    »Und das ist Ihr Traum?«
    »Ja.«
    »Jede Nacht der gleiche?«
    »Ja.«
    »Was geschieht, nachdem Sie sich erschossen haben?«
    »Ich wache auf.«
    Poirot nickte langsam und nachdenklich vor sich hin.
    »Haben Sie eigentlich einen Revolver in dieser besonderen Schublade? Es würde mich interessieren.«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Aus alter Gewohnheit. Man muss auf alles vorbereitet sein.«
    »Worauf, zum Beispiel?«
    Gereizt erwiderte Farley: »Ein Mann in meiner Stellung muss auf der Hut sein. Alle reichen Leute haben Feinde.«
    Poirot verfolgte das Thema nicht weiter. Er

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