Ein diplomatischer Zwischenfall
pünktlich wie eine Uhr.«
»Ich nehme an, Sie erinnern sich nicht mehr an seine Bestellung, oder doch?«
»Tja, warten Sie mal, es war Currysuppe, ja, ganz bestimmt, dann Rindfleischpastete – oder war es Hammel? –, nein, es war Pastete, das stimmt auch, und dann Brombeer- und Apfeltorte und Käse. Da muss sich einer vorstellen, dass er nachhause ging und noch am gleichen Abend die Treppe hinunterfällt. Man sagt, der zerschlissene Gürtel seines Morgenmantels wäre der Grund gewesen. Seine Kleider sahen immer so schäbig aus, wissen Sie, altmodisch, abgetragen und ungepflegt. Aber trotz allem, er verbreitete so ein gewisses Etwas um sich herum, als ob er was Großes wäre. O ja, es kommen schon interessante Gäste zu uns.«
Sie machte sich davon.
Hercule Poirot aß sein Seezungenfilet. In seinen Augen blitzte es grün.
»Zu merkwürdig«, sagte er zu sich selbst, »auch die klügsten Leute übersehen Details. Das wird Bonnington interessieren.« Nachdem er sich Empfehlungsschreiben von einer bestimmten einflussreichen Stelle hatte geben lassen und also wohlgewappnet war, bedeutete es für Hercule Poirot keine Schwierigkeit mehr, mit dem Untersuchungsrichter des Distrikts eine Unterredung zu vereinbaren.
»Eine sonderbare Person war doch dieser verstorbene Gascoigne«, bemerkte er. »Ein alter, exzentrischer Bursche. Aber sein Tod scheint ein ungewöhnliches Interesse hervorzurufen?«
Während er sprach, betrachtete er neugierig seinen Besucher. Hercule Poirot wählte seine Worte sorgfältig.
»Monsieur, es sind Umstände damit verbunden, die eine Untersuchung wünschenswert erscheinen lassen.«
»Nun gut, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich glaube, es liegt in Ihrer Verfügungsgewalt, Dokumente zu vernichten, die Ihrem Gericht vorgelegt wurden. Oder auch sie in Verwahrung zu nehmen, je nachdem, was Sie für richtig halten. Nun, ein bestimmter Brief wurde in der Tasche des Morgenmantels von Henry Gascoigne gefunden, ist es nicht so?«
»Ja, ganz recht.«
»Ein Brief von seinem Neffen Dr. George Lorrimer?«
»Richtig. Bei der gerichtlichen Untersuchung wurde der Brief vorgelegt, um die Zeit des Todes bestimmen zu können.«
»Das gerichtsmedizinische Gutachten bestätigte wohl die angegebene Zeit?«
»Ja, genau.«
»Ist dieser Brief noch vorhanden?«
Hercule Poirot wartete ungeduldig auf die Antwort. Als er erfuhr, dass der Brief noch zur Untersuchung verfügbar war, atmete er erleichtert auf.
Als er ihm schließlich vorgelegt wurde, studierte er ihn sehr sorgfältig. Er war mit Tinte in leicht verkrampfter Schrift geschrieben.
Der Brief lautete:
Lieber Onkel Henry,
leider muss ich dir mitteilen, dass ich bei Onkel Anth o ny keinen Erfolg gehabt habe. Er zeigte keine Begeist e rung als ich ihm von deinem Plan, ihn zu besuchen, e r zählte, und reagierte nicht auf deinen Wunsch, Verga n genes doch zu vergessen. Er ist natürlich sehr krank, und seine Gedanken sind häufig ganz abwesend. Ich könnte mir denken, dass sein Ende schon sehr nahe ist. Er schien sich deiner kaum noch zu erinnern. Es tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber du kannst sicher sein, dass ich mein Be s tes tat.
Dein dich liebender
George Lorrimer.
Der Brief war auf den dritten November datiert. Poirot betrachtete den Stempel auf dem Briefumschlag. Er war am dritten November um sechzehn Uhr dreißig abgestempelt.
»Das ist doch völlig in Ordnung, nicht wahr?«, murmelte er.
Kingston Hill war sein nächstes Ziel. Nach einigen Mühen und gut gelaunter Hartnäckigkeit erhielt er ein Interview mit Amelia, der Köchin und Haushälterin des kürzlich verstorbenen Anthony Gascoigne. Anfangs war sie voll Misstrauen und sehr reserviert, aber der Charme und die Herzlichkeit dieses merkwürdigen Ausländers hätten auch einen Stein erweicht. Mrs Amelia wurde immer aufgeschlossener.
Wie schon so viele Frauen vor ihr schüttete sie ihr Herz einem wirklich teilnahmsvollen Zuhörer aus. Vierzehn Jahre lang hatte sie für Mr Gascoigne den Haushalt geführt. – Es war keine leichte Sache gewesen. O nein, wirklich nicht! So manche Frau wäre unter der Bürde, die sie zu tragen hatte, zusammengebrochen. Der alte Herr war exzentrisch. Er verheimlichte es auch nicht. Dazu war er bemerkenswert geizig, es war bei ihm eine Art Sucht. Dabei war er doch so reich. Trotzdem hatte Mrs Amelia ihm treu gedient, hatte all seine Grillen ertragen und hatte natürlich auch zumindest eine Geste des Dankes erwartet. Aber nein,
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