Ein diplomatischer Zwischenfall
Glauben Sie etwa, ich gebe mich zu solchem Unsinn her?«
»Dann kann man wohl sagen, dass Ihre Theorie ganz entschieden unwahrscheinlich ist.«
»Aber der Traum, Sie Tor, der Traum!«
»Der Traum ist sicherlich bemerkenswert«, sagte Poirot nachdenklich. Er schwieg und fuhr dann fort: »Ich möchte gern den Schauplatz dieses Dramas sehen – den Tisch, die Uhr und den Revolver.«
»Aber gewiss. Kommen Sie mit ins Nebenzimmer.«
Während Farley den Schlafrock enger um sich zog, erhob sich der alte Mann halbwegs aus seinem Sessel, ließ sich dann aber wieder zurücksinken, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen.
»Nein«, erklärte er. »Es gibt dort nichts zu sehen. Ich habe Ihnen alles eingehend geschildert.«
»Aber ich möchte mich gern selbst überzeugen.«
»Durchaus nicht notwendig«, sagte Farley schroff. »Sie haben mir Ihre Ansicht gesagt. Damit ist der Fall erledigt.«
Poirot zuckte die Achseln. »Wie Sie wünschen.« Er stand auf. »Ich bedaure sehr, Mr Farley, dass ich Ihnen nicht helfen konnte.«
Benedict Farley starrte unverwandt geradeaus.
»Bin kein Freund von vielem Hokuspokus«, knurrte er. »Ich habe Sie über die Tatsachen unterrichtet, und Sie können nichts damit anfangen. Damit ist die Angelegenheit zu Ende. Sie können mir eine Rechnung über das Konsultationshonorar schicken.«
»Das werde ich nicht versäumen«, erwidert der Detektiv trocken und schritt zur Tür.
»Einen Augenblick!«, rief der Millionär hinter ihm her. »Der Brief – ich möchte ihn gern haben.«
»Der Brief von Ihrem Sekretär?«
»Ja.«
Poirot machte ein erstauntes Gesicht. Er fuhr mit der Hand in die Tasche, zog einen zusammengefalteten Bogen heraus und reichte ihn dem alten Herrn, der einen prüfenden Blick darauf warf und ihn dann kopfnickend neben sich auf den Tisch legte.
Wiederum ging Hercule Poirot auf die Tür zu. Er war ziemlich verdutzt, seine rastlosen Gedanken kreisten um das, was er soeben gehört hatte. Doch mitten in seine Überlegungen hinein drängte sich ein nagendes Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei. Und dieses Etwas bezog sich auf ihn selbst – nicht auf Benedict Farley.
Als seine Hand schon auf dem Türgriff lag, klärten sich seine Gedanken. Ihm, Hercule Poirot, war ein Versehen unterlaufen! Er machte noch einmal kehrt.
»Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung! Ganz in Gedanken an Ihr Problem habe ich eine Dummheit begangen! Dieser Brief, den ich Ihnen gegeben habe – unglücklicherweise habe ich in meine rechte Tasche gegriffen, anstatt in meine linke…«
»Was ist los? Was reden Sie da?«
»Der Brief, den ich Ihnen soeben gegeben habe, enthält eine Entschuldigung meiner Wäscherin wegen der Behandlung meiner Kragen.« Poirot lächelte reumütig und griff in seine linke Tasche. »Dies ist Ihr Brief.«
Benedict Farley riss ihn knurrend an sich. »Zum Kuckuck, warum können Sie denn nicht aufpassen?«
Mit einer nochmaligen Entschuldigung nahm Poirot die Mitteilung seiner Wäscherin wieder an sich und verließ das Zimmer.
Draußen auf dem Korridor blieb er eine Weile stehen. Es war eigentlich eine kleine Diele. Ihm gegenüber stand eine große alte Eichenbank mit einem langen, schmalen Tisch davor. Auf dem Tisch lagen Zeitschriften. Außerdem waren noch zwei Sessel und ein Blumentisch vorhanden. Dieses Arrangement erinnerte ihn ein wenig an das Wartezimmer eines Zahnarztes.
Unten in der Halle wartete der Butler auf ihn, um ihn zur Tür zu bringen. »Soll ich Ihnen ein Taxi besorgen, Sir?«
»Nein, danke. Es ist ein schöner Abend. Ich gehe zu Fuß.«
Hercule Poirot blieb einen Augenblick auf dem Bürgersteig stehen, wartete, bis die Straße frei war, ehe er sie überquerte.
»Nein«, sagte er mit tief gerunzelter Stirn vor sich hin, »ich verstehe das ganz und gar nicht. Es ist ohne Sinn und Verstand. So bedauerlich dieses Eingeständnis auch ist, aber ich, Hercule Poirot, bin auf dem toten Gleis angelangt.«
Dies war sozusagen der erste Akt des Dramas. Der zweite Akt folgte eine Woche später und begann mit einem Anruf von einem Dr. med. John Stillingfleet.
Mit einem bemerkenswerten Mangel an ärztlicher Etikette sagte dieser:
»Sind Sie’s, Poirot, altes Haus? Hier ist Stillingfleet.«
»Ja, mein Freund. Was gibt’s denn?«
»Ich spreche von Northway House – Benedict Farleys Wohnsitz.«
»Ja?« Poirots Stimme verriet plötzliches Interesse. »Wie geht’s Mr Farley?«
»Farley ist tot. Hat sich heute Nachmittag erschossen.«
Nach einer
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