Ein diplomatischer Zwischenfall
Tod ihres Vaters hat ihr den Weg zum Glück geebnet.«
»Richtig gesehen, hatte sie ein ziemlich gutes Motiv, um den unangenehmen Paterfamilias in die ewigen Jagdgründe zu befördern.«
»Motiv und Gelegenheit genügen nicht«, entgegnete Poirot. »Es muss auch die verbrecherische Anlage vorhanden sein.«
»Werden Sie jemals ein Verbrechen begehen, Poirot?«, fragte Stillingfleet. »Ich möchte wetten, dass Sie ungestraft davonkämen. Aber es wäre tatsächlich zu leicht für Sie – aus diesem Grunde schon ist es zu verwerfen; denn es wäre entschieden zu unsportlich.«
»Das«, meinte Poirot, »ist eine typisch englische Idee.«
Greenshaws Monstrum
D ie beiden Männer bogen um eine Gruppe dichter Büsche. »So, da wären wir«, erklärte Raymond West. »Hier ist es.«
Horace Bindler holte tief Atem und rief voller Anerkennung: »Aber, mein lieber Junge, wie wundervoll!«
Seine Stimme endete in einem hellen Schrei ästhetischer Verzückung und sank dann wieder zu einem Ton tiefer Ehrerbietung herab.
»Es ist ja unglaublich! Geradezu unwahrscheinlich! Ein antikes Stück erster Güte.«
»Ich habe mir gleich gedacht, dass es dir gefallen würde«, sagte Raymond West voller Selbstzufriedenheit.
»Gefallen? Du meine Güte!« Horace fand keine Worte mehr. Er schnallte seine Kamera ab und machte sich ans Werk.
»Dies wird zu den Juwelen meiner Sammlung gehören«, erklärte er selig. »Ich finde es wirklich ganz amüsant, eine Sammlung von Monstrositäten zu besitzen. Auf diese Idee bin ich vor sieben Jahren verfallen, als ich eines Abends in der Badewanne saß. Das letzte richtige Juwel ergatterte ich auf dem Campo Santo in Genua. Aber ich glaube, es kann an dieses nicht heranreichen. Wie heißt es eigentlich?«
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Raymond.
»Wahrscheinlich hat es doch einen Namen.«
»Das nehme ich stark an. Aber hier in der Gegend spricht man nur von Greenshaws Monstrum.«
»Ist Greenshaw der Erbauer des Hauses?«
»Ja. Er hat es um achtzehnhundertsechzig herum gebaut – als Krönung einer lokalen Karriere jener Zeit: barfüßiger Junge, der zu ungeheurem Wohlstand gelangt war. Warum er es errichtet hat, darüber gehen die Meinungen der Einheimischen auseinander. Manche behaupten, aus schierem Überfluss, andere dagegen, um seine Gläubiger zu beeindrucken. Wenn das letztere zutrifft, so haben sie sich nicht davon blenden lassen, denn er machte praktisch Bankrott.«
Horaces Kamera klickte.
»Fertig«, sagte er mit großer Befriedigung. »Erinnere mich daran, dass ich dir Nr. 310 in meiner Sammlung zeige. Ein wirklich unglaublicher marmorner Kaminsims im italienischen Stil.«
Mit einem Blick auf das Haus fügte er hinzu: »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Mr Greenshaw sich das alles selbst ausgeknobelt hat.«
»Es springt eigentlich in die Augen«, meinte Raymond. »Er hatte wohl die Schlösser der Loire besucht. Meinst du nicht auch? Die Türmchen sprechen dafür. Dann scheint er unglücklicherweise im Orient herumgereist zu sein. Der Einfluss des Tadsch Mahal ist unverkennbar. Der maurische Flügel gefällt mir eigentlich. Ebenso die Spuren eines venezianischen Palastes.«
»Man wunderte sich im Stillen, dass er jemals einen Architekten dazu bewegen konnte, diese Pläne zu realisieren.«
Raymond zuckte die Achseln.
»Da ist er wohl nicht auf Schwierigkeiten gestoßen«, meinte er. »Der Architekt hat sich wahrscheinlich mit einem guten finanziellen Polster zur Ruhe gesetzt, während der arme alte Greenshaw Bankrott ging.«
»Könnten wir es uns wohl von der anderen Seite ansehen?«, fragte Horace. »Oder wandeln wir hier auf verbotenen Pfaden?«
»Gewiss wandeln wir hier auf verbotenen Pfaden«, bestätigte Raymond. »Aber es wird wohl nicht so schlimm sein.«
Er ging auf die Ecke des Hauses zu, und Horace hüpfte hinter ihm her.
»Wer wohnt hier eigentlich, sag mal? Waisenkinder oder Feriengäste? Eine Schule kann es doch nicht sein. Man sieht keine Spielplätze und spürt nichts von munterem Treiben.«
»Oh, eine Greenshaw lebt hier noch«, erwiderte Raymond. »Das Haus selbst blieb bei der Pleite verschont. Der Sohn des alten Greenshaw erbte es. Er war ein ziemlicher Geizhals und hauste in einem Winkel des Hauses. Gab nie einen roten Heller aus. Hatte auch wohl keinen roten Heller zum Ausgeben. Jetzt wohnt seine Tochter hier. Eine alte Dame – sehr exzentrisch.«
Während er dies alles erzählte, gratulierte Raymond sich, dass er zwecks Unterhaltung seines
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