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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Gastes an Greenshaws Monstrum gedacht hatte. Diese Literaturkritiker beteuerten immer ihre Sehnsucht nach einem Wochenende auf dem Lande, und wenn sie ihr Ziel erreicht hatten, fanden sie es gewöhnlich äußerst langweilig. Morgen würden ja die sensationellen Sonntagszeitungen für Abwechslung sorgen, aber heute war es eben eine glückliche Idee gewesen, diesen Besuch von Greenshaws Monstrum vorzuschlagen, um Horace Bindlers wohl bekannte Sammlung von Monstrositäten zu bereichern.
    Sie bogen um die Ecke des Hauses und kamen zu einem vernachlässigten Rasen. In einer Ecke befand sich ein großer Steingarten, und darin stand eine gebeugte Gestalt, bei deren Anblick Horace begeistert Raymonds Arm umklammerte.
    »Mein lieber Junge«, rief er aus, »siehst du, was sie anhat? Ein geblümtes Kattunkleid. Wie ein Hausmädchen – als es noch Hausmädchen gab. Zu meinen kostbarsten Kindheitserinnerungen zählt der Aufenthalt in einem Landhaus, wo man des Morgens von einem richtigen Hausmädchen mit Häubchen und gestärktem Kattunkleid geweckt wurde. Ja, mein Lieber, ein regelrechtes Häubchen. Aus Musselin mit flatternden Bändern. Nein, vielleicht war es auch das Zimmermädchen, das die flatternden Bänder hatte. Jedenfalls war es aber ein richtiges Hausmädchen, und es brachte eine riesige Messingkanne mit heißem Wasser. Was für einen interessanten Tag erleben wir doch heute!«
    Die Gestalt im Kattunkleid hatte sich inzwischen aufgerichtet und wandte sich mit einem Pflanzenheber in der Hand ihnen zu. Sie war eine ziemlich auffallende Person. Wirre graue Locken fielen ihr in dünnen Strähnen auf die Schultern, und auf ihren Kopf war ein Strohhut gestülpt, wie ihn die Pferde in Italien tragen. Das bunte Kattunkleid reichte ihr fast bis zu den Knöcheln. Aus einem wettergebräunten, nicht allzu sauberen Gesicht blickten scharfe Augen sie prüfend an.
    »Ich muss Sie vielmals um Entschuldigung bitten, Miss Greenshaw«, sagte Raymond West, als er auf sie zuging, »weil wir so ohne Weiteres hier eingedrungen sind. Aber Mr Horace Bindler, der bei mir zu Gast ist…«
    Horace verbeugte sich und nahm seinen Hut ab.
    »… interessiert sich mächtig für – hm alte Geschichte und hm – schöne Bauten.«
    Raymond West sprach mit der Ungezwungenheit eines bekannten Schriftstellers, der weiß, dass er eine Berühmtheit ist und sich manches herausnehmen kann, was anderen Leuten nicht gestattet ist.
    Miss Greenshaw blickte zu dem steinernen Ungetüm empor, das sich hinter ihr in seiner ganzen Überschwänglichkeit ausdehnte.
    »Es ist auch ein schönes Haus«, sagte sie. »Mein Großvater hat es gebaut – natürlich vor meiner Zeit. Er soll gesagt haben, dass er die Einheimischen in Erstaunen setzen wolle.«
    »Und das ist ihm bestimmt gelungen, Madam«, versicherte ihr Horace Bindler.
    »Mr Bindler ist der bekannte Literaturkritiker«, warf Raymond West ein.
    Miss Greenshaw hegte offensichtlich keine besondere Ehrfurcht vor Literaturkritikern. Sie blieb unbeeindruckt.
    »Ich betrachte das Haus«, fuhr sie fort, »als ein Denkmal für das Genie meines Großvaters. Törichte Menschen kommen hierher und fragen mich, warum ich es nicht verkaufe und in einer Etagenwohnung lebe. Was sollte ich da wohl anfangen? Dies ist mein Heim, und darin wohne ich. Habe immer hier gewohnt.«
    Sie schien über die Vergangenheit nachzugrübeln.
    »Wir waren zu dritt. Laura heiratete den Pfarrer, und Papa wollte ihr kein Geld geben mit der Begründung, dass Geistliche nicht an irdischen Gütern hängen sollten. Sie starb bei der Geburt eines Kindes, und das Kind starb auch. Nettie ist mit dem Reitlehrer davongelaufen, und Papa hat sie natürlich enterbt. Hübscher Bursche, dieser Harry Fletcher, aber ein Taugenichts. Glaube nicht, dass Nettie mit ihm glücklich war. Jedenfalls hat sie nicht lange gelebt. Sie hatten einen Sohn. Er schreibt mir manchmal, ist aber natürlich kein Greenshaw. Ich bin die letzte der Greenshaws.«
    Sie richtete die gebeugten Schultern mit einem gewissen Stolz auf und schob den verwegen auf ihrem Kopf thronenden Strohhut zurecht. Dann drehte sie sich um und sagte in scharfem Ton:
    »Ja, Mrs Cresswell, was gibt’s denn?«
    Vom Hause her näherte sich eine Gestalt, die einen geradezu lächerlichen Gegensatz zu Miss Greenshaw darstellte. Mrs Cresswell hatte ein wunderbar frisiertes Haupt. Ihr blau getöntes Haar türmte sich in sorgfältig arrangierten Locken und Rollen zu einer beträchtlichen Höhe. Man hatte den Eindruck,

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