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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Schauspiel, diese Frauen, die Tamara de Lempicka in Paris, Mailand, New York, Hollywood porträtiert oder erfunden hatte oder an ihrem letzten Rückzugsort in Cuernavaca. Drall, füllig, rund, elegant, zeigten sie stolz ihre dreieckigen Bauchnabel, für die Tamara eine Vorliebe zu haben schien, eine ebensolche wie für die sukkulenten Schenkel der lasziven Aristokratinnen, die sie auszog, um sie in fleischliche Lust und Geilheit zu kleiden. Sie gab der lesbischen Liebe und dem Garçonne-Stil Würde, dachte er, machte sie gesellschaftsfähig, verlieh ihr eine mondäne Aura, indem sie sie durch die Salons von Paris und New York führte. Würde mich nicht wundern, wenn der verrückte, von ihr entflammte Schwanz Gabriele d’Annunzios versucht hätte, sie in seiner Villa Vittoriale am Gardasee zu vergewaltigen, wo er sie unter dem Vorwand hinlockte, sich von ihr porträtieren zu lassen, im Grunde aber nur darauf aus, sie zu besitzen. Ob sie durchs Fenster entwischt war? Er ging langsam die Seiten durch, überflog die affektierten Aristokraten mit den blauschattigen Augen der Schwindsüchtigen, verweilte bei den prächtigen weiblichen Figuren mit ihren großen, schmachtenden Augen, helmglatten Haaren und roten Fingernägeln, aufrechten Brüsten und majestätischen Hüften, Frauen, die sich fast immer wanden wie rollige Katzen. Eine ganze Weile gab er sich seinen Träumereien hin, spürte, wie ihn wieder jene Lust überkam, die seit so vielen Tagen und Wochen erloschen war, seit die Hyänen ihm das Leben auf diese billige Art versauerten. Er war verzückt von all den jungen Damen mit ihren ausgeschnittenen, transparenten Kleidern, ihrem schimmernden Schmuck, sämtlich besessen von einer tiefen Lust, die aus ihren überglänzten Augen hervorbrechen wollte. Vom Art déco zur Abstraktion, Tamara, unglaublich, dachte er. Auch wenn selbst die abstrakten Bilder der Tamara de Lempicka noch eine geheimnisvolle Sinnlichkeit atmeten. Ergriffen und glücklich spürte er im Unterleib einen kleinen Aufruhr, das Erwachen einer Erektion.
    Und in dem Moment, langsam wieder zurückkehrend in die Wirklichkeit des Alltags, bemerkte er, dass Lucrecia hereingekommen war, ohne dass er die Tür gehört hätte. Was war los? Sie stand neben ihm, die Pupillen feucht und geweitet, der Mund halb offen, zitternd. Sie wollte etwas sagen, aber die Zunge gehorchte ihr nicht, die Wörter kamen ihr nicht über die Lippen, nur ein unverständliches Stammeln.
    »Wieder eine schlechte Nachricht, Lucrecia?« Entsetzt dachte er an Edilberto Torres, an Fonchito. »Noch eine?«
    »Armida hat angerufen und heult wie verrückt«, schluchzte sie. »Du warst kaum gegangen, da ist Ismael im Garten ohnmächtig zusammengebrochen. Sie haben ihn in die Amerikanische Klinik gebracht. Und gerade ist er gestorben. Ja, Rigoberto, er ist tot!«

XV
    »Was ist mit dir, Felícito?«, sagte die Santera noch einmal, beugte sich über ihn und fächelte ihn mit ihrem alten löchrigen Strohfächer. »Geht es dir nicht gut?«
    Felícito Yanaqué sah die Besorgnis in Adelaidas großen Augen, und unter all dem Nebel in seinem Kopf kam ihm der Gedanke, dass es an ihr als Wahrsagerin war, genau zu wissen, was mit ihm los war. Aber er hatte keine Kraft zu antworten, ihm war schwindlig, bestimmt würde er jeden Moment ohnmächtig. Es war ihm egal. In tiefen Schlaf sinken, alles vergessen, nicht denken: einfach wunderbar. Verschwommen dachte er daran, den Gefangenen Christus von Ayabaca um Hilfe zu bitten, den Gertrudis so verehrte. Aber er wusste nicht, wie.
    »Soll ich dir ein Glas Wasser bringen, frisch vom Filterstein?«
    Warum sprach Adelaida so laut, als wäre er auf einmal taub? Er sagte ja und sah, immer noch benebelt, wie die Mulattin in ihrem rotbraunen Hemdkleid und auf nackten Füßen in dem kleinen Kräuter- und Heiligenladen nach hinten durchging. Er schloss die Augen und dachte: Du musst stark sein, Felícito. Du darfst noch nicht sterben, Felícito Yanaqué. Pack dir an die Eier, Mann! Na los! Er hatte einen trockenen Mund und spürte, wie das Herz zwischen den Bändern, Knochen und Muskeln seiner Brust immer weiter wachsen wollte. Gleich würde es ihm hochkommen. Und er dachte, wie passend der Ausdruck doch war. Unmöglich war das nicht, che guá . Dieses Organ donnerte so unbeherrscht und mit einer solchen Wucht in seinem Brustkorb, dass es sich plötzlich losreißen konnte, um dem Gefängnis seines Körpers zu entfliehen, dass es zum Kehlkopf hochstieg und herausschoss, in

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