Ein diskreter Held
ihm zu unterhalten. Wo immer er möchte. Er soll mich anrufen. Vielleicht sieht er eine Möglichkeit, mir zu helfen. Wirklich, ich wünschte mir nichts lieber, als EdilbertoTorres persönlich zu treffen und mit ihm zu sprechen, mein Junge.«
»Okay, Papa, ich sage es ihm, wenn ich ihn treffe. Versprochen. Du wirst sehen, er ist kein Geist, sondern aus Fleisch und Blut. Ich mache jetzt meine Hausaufgaben. Ich habe irre viel auf.«
Als Fonchito aus dem Zimmer ging, wollte Rigoberto erst wieder an den Computer, ließ es dann aber sein. Er hatte jedes Interesse an Assicurazioni Generali S.p.A. und Ismaels vertrackten Finanzgeschäften verloren. War es möglich, dass Edilberto Torres das zu Fonchito gesagt hatte? Dass er über seine gerichtlichen Scherereien im Bilde war? Natürlich nicht. Ein weiteres Mal hatte dieser Junge ihm eine Falle gestellt, und er war wie ein Tölpel hineingetapst. Und wenn Edilberto Torres sich mit ihm verabredete? Dann, dachte er, kehre ich zur Religion und in den Schoß der Kirche zurück und gehe für den Rest meiner Tage in ein Kartäuserkloster. Er lachte, grummelte: »Was für eine unendliche Langeweile.« Wie viel maßlose Dummheit es doch auf der Welt gab.
Er stand auf und warf einen Blick auf das Regal gleich neben ihm, wo seine liebsten Kunstbücher und Kataloge standen. Während er sie durchging, erinnerte er sich an die Ausstellungen, wo er sie gekauft hatte. New York, Paris, Madrid, Mailand, Mexiko. Wirklich ärgerlich, dass er sich mit Anwälten und Richtern herumschlagen und an diese funktionalen Analphabeten denken musste, die beiden Zwillinge, statt vormittags und nachmittags in die Bände mit den Gemälden, Grafiken, Zeichnungen einzutauchen und bei guter Musik von ihnen zu träumen; in der Zeit zu reisen, die schönsten Abenteuer zu erleben, sich anrühren zu lassen, traurig zu werden, zu genießen, zu weinen, sich zu begeistern und zu erregen. Er dachte: Dank Delacroix war ich beim Tod des Sardanapal dabei, umgeben von nackten Frauen, und dank dem jungen Grosz habe ich sie in Berlin geköpft, während ich sie zugleich, versehen mit einem riesigen Phallus, sodomisierte. Dank Botticelli war ich eine Renaissance-Madonna und dank Goya ein lüsternes Ungeheuer, das seine Kinder verschlang. Dank Aubrey Beardsley eine Schwuchtel mit einer Rose im Arsch und dank Piet Mondrian ein gleichschenkliges Dreieck.
Er schweifte schon amüsiert ab, doch fast ohne dass es ihm bewusst war, hatten seine Hände gefunden, wonach er in dem Regal eigentlich suchte: den Katalog der Ausstellung, welche die Royal Academy im Sommer 2004 dem Werk der Tamara de Lempicka widmete und die er selbst, als er das letzte Mal in England war, besucht hatte. Damals spürte er im Schritt, auf dem Grund seiner Hoden, den Anflug eines fröhlichen Kribbelns, während er zugleich erfüllt war von Wehmut und Dankbarkeit. Jetzt war es, abgesehen von dem Kribbeln, eine leise Hitze an der Spitze seines Schwanzes. Mit dem Buch in der Hand ließ er sich in den Lesesessel fallen und knipste die Lampe an, deren Schein ihm erlaubte, die Reproduktionen in allen Einzelheiten zu genießen. Die Lupe hatte er in Reichweite. Ob es stimmte, dass Kizette, die Tochter der russisch-polnischen Künstlerin, die Asche ihrer Mutter, dem letzten Willen entsprechend, aus einem Hubschrauber in den Krater dieses mexikanischen Vulkans gestreut hatte, des Popocatépetl? Eine erhabene, erdumwälzende, wundervolle Art des Abschieds von der Welt, die diese Frau gewählt hatte, eine Künstlerin, die, wie ihre Bilder bezeugten, nicht nur malen konnte, sondern auch genießen und deren Finger eine aufreizende und zugleich eisige Lüsternheit auf jene geschmeidigen, sich windenden, üppig schwellenden Nackten übertrugen, die nun unter seinen Augen vorüberzogen: Rhythm, La Belle Rafaëla, Myrto, The Model, The Slave. Seine fünf Lieblingsbilder. Wer sagte, dass Art déco und Erotik nicht zusammengingen? In den zwanziger und dreißiger Jahren hatte die Künstlerin mit den gezupften Brauen, den glühenden und verschlingenden Augen, dem sinnlichen Mund und den groben Händen eine Wollust in ihre Gemälde gelegt, die kalt nur auf den ersten Blick war, denn in der Vorstellung und Einfühlung des aufmerksamen Betrachters verschwand die plastische Reglosigkeit der Figuren, und sie erwachten, vermengten sich, fielen übereinander her, streichelten sich, zogen sich aus, liebten sich und genossen in aller Schamlosigkeit. Ein schönes, erregendes, großartiges
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