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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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vor den Mund und blies leise. Die scharfen, listigen Augen in seinem hageren Gesicht schienen zu zweifeln.
    »Alles hängt von den zwei feinen Herrschaften ab«, sagte er mit einem Seufzer, und seine Brust blähte sich. »Morgen wird das Testament eröffnet, im Notariat Núñez. Den Inhalt kenne ich einigermaßen. Wir werden sehen, wie die Hyänen reagieren. Ihr Anwalt ist so ein Wadenbeißer, der hat sie auf Krawall gebürstet. Ich weiß nicht, wie weit sie gehen werden. Herr Carrera hat praktisch sein ganzes Vermögen Armida vermacht, wir müssen also auf das Schlimmste gefasst sein.«
    Er hob die Schultern, sich fügend ins Unvermeidliche. Und das Unvermeidliche war, sagte sich Rigoberto, dass die Zwillinge einen Riesenrabatz machten. Schon unglaublich, welche Paradoxien das Leben bot: eine Frau aus den bescheidensten Verhältnissen, und über Nacht war sie eine der reichsten im ganzen Land.
    »Aber Ismael hat ihnen ihren Erbteil doch schon ausbezahlt«, sagte er. »Damals, als er sie wegen ihrer üblen Scherze aus der Firma werfen musste, das weiß ich noch genau. Beide haben eine ordentliche Summe bekommen.«
    »Ja, aber formlos, mit einem einfachen Brief.« Wieder hob und senkte Dr. Arnillas die Schultern, kräuselte die Stirn, rückte sich die Brille gerade. »Es gibt keine öffentliche Urkunde und auch keine förmliche Annahme durch sie. Die Sache kann rechtlich bestritten werden, und das wird sie wohl auch. Ich bezweifle sehr, dass die Zwillinge sich damit abfinden. Es wird ein langer Streit, fürchte ich.«
    »Dann soll Armida sich vergleichen und ihnen etwas abgeben, damit sie sie in Ruhe lassen«, sagte Don Rigoberto. »Das Schlimmste für sie wäre ein endloser Rechtsstreit. Es würde Jahre dauern, und am Ende landet Dreiviertel der Summe beiden Anwälten. Ach, entschuldigen Sie, Doktor, ich meine nicht Sie, das war nur ein Scherz.«
    »Haben Sie vielen Dank.« Dr. Arnillas lachte und stand auf. »Aber ganz Ihrer Meinung. Ein Vergleich ist immer das Beste. Wir werden sehen, in welche Richtung die Sache geht. Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
    »Bleibe ich mit gefangen?«, fragte er und stand ebenfalls auf.
    »Das möchten wir natürlich verhindern«, beruhigte ihn der Anwalt, wenn auch nur halb. »Da Don Ismael verstorben ist, hat das Verfahren gegen Sie keinen Sinn mehr. Aber bei unseren Richtern weiß man nie. Sobald ich etwas in Erfahrung bringe, rufe ich Sie an.«
    In den ersten drei Tagen nach Ismael Carreras Beerdigung war Rigoberto vor Ungewissheit wie gelähmt. Lucrecia versuchte mehrmals Armida zu erreichen, aber sie kam nie ans Telefon. Die weibliche Stimme, die antwortete, klang mehr nach einer Sekretärin als nach einer Hausangestellten. Die Señora de Carrera ruhe sich aus und ziehe es aus naheliegenden Gründen vor, zunächst keinen Besuch zu empfangen; sie würde es ihr ausrichten, selbstverständlich. Genauso wenig konnte Rigoberto sich mit Dr. Arnillas in Verbindung setzen. Nie war er in seiner Kanzlei oder zu Hause, immer war er gerade gegangen oder noch nicht da, hatte dringende Besprechungen, würde zurückrufen, sobald er einen Moment Zeit hätte.
    Was passierte da? Ob das Testament schon eröffnet war? Wie die Zwillinge wohl reagierten, wenn sie erfuhren, dass Ismael Armida als Alleinerbin eingesetzt hatte? Sie würden es anfechten, für nichtig erklären, da gegen die peruanischen Gesetze verstoßend, die ein Drittel als Pflichtteil für die Kinder bestimmten. Die Gerichte würden den Erbteil, den Ismael den Zwillingen vorab ausbezahlt hatte, als solchen nicht anerkennen. Blieb Rigoberto dann weiter in das Klageverfahren der Hyänen verwickelt? Würden sie nicht lockerlassen? Müsste er erneut vor diesen unsäglichen Richter treten, in dieser klaustrophobischen Amtsstube? Konnte er Peru nicht verlassen, solange der Rechtsstreit andauerte?
    Er überflog die Zeitungsartikel, hörte Radio und sah Fernsehen, aber die Sache war noch keine Meldung, blieb abgeschottet in den Kanzleien von Testamentsvollstreckern, Notaren und Anwälten. Rigoberto zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und versuchte angestrengt zu erraten, was in diesen gedämpften Räumen wohl vor sich ging. Ihm war weder nach Musik zumute – selbst sein geliebter Mahler machte ihn nervös – noch danach, sich auf ein Buch zu konzentrieren oder irgendwelche Abbildungen zu betrachten und in die Fantasie zu entschwinden. Er aß kaum einen Bissen. Mit Fonchito und Lucrecia hatte er außer Guten Morgen und Guten Abend kein

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