Ein diskreter Held
schürte. Sie würde es weiter hinauszögern, und so kämen sie zu spät zur Beerdigung.
Schließlich trat Lucrecia aus dem Schlafzimmer, ebenfalls in Schwarz und mit dunkler Brille. Rigoberto hielt ihr gleich die Tür auf. Das Gesicht einer Frau war noch immer vom Schmerz und von der Ungewissheit gezeichnet. Was würde jetzt passieren? Während der Totenwache in der Kirche Santa María Reina hatte Rigoberto gesehen, wie sie Armida umarmte undschluchzte, vor dem offenen Sarg, in dem Ismael lag, ein Tuch um den Kopf gebunden, damit der Kiefer nicht herunterklappte. Selbst Rigoberto konnte in dem Moment seine Tränen nur mit Mühe zurückhalten. Ausgerechnet jetzt zu sterben, wo er glaubte, er hätte alle Schlachten gewonnen, und sich fühlte wie der glücklichste Mensch auf Erden. Oder hatte dieses Glücksgefühl ihn umgebracht? Ismael Carrera war so etwas nicht gewohnt.
Sie fuhren mit dem Aufzug direkt in die Garage und machten sich, Rigoberto am Steuer, rasch auf den Weg zur Santa María Reina in San Isidro, von wo der Trauerzug nach La Molina zum Friedhof aufbrechen sollte.
»Hast du gestern bei der Totenwache gesehen, dass weder Miki noch Schlaks auch nur einmal an Armida herangetreten sind?«, bemerkte Lucrecia. »Nicht ein einziges Mal. So was von rücksichtslos. Wirklich herzlose Biester, die beiden.«
Rigoberto war es aufgefallen, und genauso natürlich den meisten der anderen, die im Laufe mehrerer Stunden, bis fast um Mitternacht, durch den von Blumen überquellende Raum zogen. Die Kränze, Gebinde, Sträuße, Kreuze, Trauerkarten bedeckten alles und ergossen sich über den Hof bis auf die Straße. Viele Menschen hatten Ismael gemocht und geachtet, und das war der Beweis: Hunderte, die sich von ihm verabschiedeten. Bei der Beerdigung würden es genauso viele oder mehr sein. Aber genauso waren am Vorabend auch jene gekommen, die sich über ihn das Maul zerrissen, weil er sein Dienstmädchen geheiratet hatte, und selbst diejenigen, die sich in dem Rechtsstreit zur Annullierung der Ehe auf die Seite von Miki und Schlaks schlugen. Bei der Totenwache jedenfalls konzentrierten sich alle Blicke auf die Hyänen und auf Armida. Die Zwillinge, ganz in Schwarz und ohne die Sonnenbrillen abzunehmen, sahen aus wie zwei Gangster aus dem Kintopp. Die Witwe und die Söhne des Verstorbenen waren nur wenige Meter voneinander getrennt, eine Grenze, welche die beiden nicht ein einziges Mal überschritten. Auf Dauer wirkte es komisch. Armida, von Kopf bis Fuß in Trauer, mit dunklem Hutund Schleier, saß nicht weit vom Sarg entfernt, in der Hand ein Taschentuch und einen Rosenkranz, dessen Perlen sie langsam, mit still bewegten Lippen durch die Finger gleiten ließ. Immer wieder trocknete sie sich die Tränen, und von Zeit zu Zeit stand sie auf, gestützt von zwei kräftigen Kerlen, die immer hinter ihr blieben, trat an den Sarg, beugte sich über die Scheibe und betete oder weinte. Danach nahm sie die Beileidsbekundungen der neu Hinzugekommenen entgegen, während die Hyänen ihrerseits an den Sarg traten und einen Moment davor stehen blieben, sich bekreuzigend, tief betrübt, ohne ihre Köpfe auch nur einmal zur Witwe zu wenden.
»Bist du sicher, dass diese beiden Kleiderschränke mit den Boxervisagen, die den ganzen Abend bei Armida waren, Leibwächter sind?«, fragte Lucrecia. »Es hätten genauso gut Verwandte von ihr sein können. Fahr nicht so schnell, bitte. Ein Toter reicht.«
»Absolut sicher«, sagte Rigoberto. »Claudio Arnillas hat es mir bestätigt. Ismaels Anwalt ist jetzt ihr Anwalt. Es waren Leibwächter.«
»Ein bisschen lächerlich, findest du nicht?«, bemerkte Lucrecia. »Wozu um alles in der Welt braucht Armida Leibwächter, das wüsste ich gern.«
»Sie braucht sie jetzt mehr denn je«, sagte Rigoberto und drosselte die Geschwindigkeit. »Die Hyänen könnten einen Killer anheuern und sie umbringen lassen. In Lima kommt so was heute vor. Ich fürchte, die beiden Galgenvögel wollen die Frau fertigmachen. Du kannst dir nicht vorstellen, welches Vermögen unsere frischgebackene Witwe geerbt hat, Lucrecia.«
»Wenn du weiter so fährst, steige ich aus«, warnte ihn seine Frau. »Aha, deshalb. Ich dachte, sie wäre hochnäsig geworden und hätte die Kerle bloß engagiert, um sich wichtigzutun.«
Als sie bei der Kirche Santa María Reina am Óvalo Gutiérrez ankamen, setzte sich der Trauerzug gerade in Bewegung, so dass sie sich gleich in die Kolonne einreihten. Die Autoschlange war endlos. Rigoberto
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