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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Colegio San Agustín zu suchen haben.«
    »Soll ich dir was sagen, Rigoberto?« Lucrecia drückte sich im Dunkeln an ihn, als läse sie seine Gedanken. »Manchmal denke ich, all das erfindet Fonchito nur. Kein Wunder bei seiner Fantasie. Solche Scherze hat er schon andere Male mit uns getrieben, nicht? Und dann sage ich mir, dass es keinen Grund gibt, sich Sorgen zu machen, dass es diesen Herrn nicht gibt und auch nicht geben kann. Dass er ihn erfunden hat, um sich wichtigzutun und damit wir uns um ihn kümmern. Dumm nur, dass Fonchito ein grandioser Schwindler ist. Wenn er uns von seinen Begegnungen erzählt, scheint es mir unmöglich, dass es nicht stimmt, was er sagt. Er spricht so überzeugend und wirkt dabei so unschuldig und glaubwürdig, also, ich weiß nicht. Geht es dir nicht auch so?«
    »Natürlich, genau wie dir«, gestand Rigoberto, umarmte seine Frau, wärmte sich an ihrem Körper und wärmte sie. »Ein großer Schwindler, allerdings. Hoffentlich hat er die Geschichte nur erfunden, Lucrecia. Hoffentlich. Am Anfang habe ich es auf die leichte Schulter genommen, aber mittlerweile verfolgen mich diese Erscheinungen schon. Ich fange an zu lesen, und dieser komische Vogel lenkt mich ab, ich höre Musik, und schon ist er da, ich schaue mir die Bilder an, und was ich sehe, ist sein Gesicht, und es ist kein Gesicht, sondern ein Fragezeichen.«
    »Tja, mit Fonchito wird einem nie langweilig«, versuchte Lucrecia zu scherzen. »Schlafen wir ein bisschen. Ich will nicht wieder die Nacht kein Auge zutun.«
    Die Tage vergingen, ohne dass der Junge den Unbekannten noch einmal erwähnte. Rigoberto dachte schon, Lucrecia hätte recht. Alles war eine Fantasie seines Sohnes gewesen, um sichinteressant zu machen und im Mittelpunkt zu stehen. Bis zu jenem frösteligen, vernieselten Wintertag, als Lucrecia ihn mit einer Miene empfing, dass er erschrak.
    »Warum so ein Gesicht?« Rigoberto gab ihr einen Kuss. »Wegen meines vorgezogenen Ruhestands? Entsetzt dich der Gedanke, ich könnte den ganzen Tag zu Hause hocken?«
    »Fonchito.« Lucrecia deutete auf die untere Etage der Wohnung, wo der Junge sein Zimmer hatte. »Etwas ist in der Schule mit ihm passiert, aber er wollte mir nicht sagen, was. Ich habe es gleich gemerkt, als er kam. Er war sehr blass, hat gezittert. Ich dachte, er hätte Fieber. Ich habe gemessen, aber nichts, kein Fieber. Er war wie weggetreten, verängstigt, konnte kaum sprechen. ›Nein, nichts, Stiefmutter, ich habe nichts.‹ Er hatte kaum noch eine Stimme. Geh zu ihm, Rigoberto, er ist auf seinem Zimmer. Frag ihn, was los ist. Vielleicht sollten wir den Notarzt rufen, sein Gesicht gefällt mir gar nicht.«
    Der Teufel, schon wieder, dachte Rigoberto und sprang die Treppe hinunter. Tatsächlich, es war wieder der komische Vogel. Fonchito sträubte sich zunächst – »Wozu soll ich es dir erzählen, wenn du mir doch nicht glaubst, Papa« –, aber dann kapitulierte er vor den wohlmeinenden Argumenten seines Vaters: »Es ist besser, wenn du dich davon befreist und es mit uns teilst, mein Kleiner. Es wird dir guttun, es uns zu erzählen, wirst sehen.« Tatsächlich war sein Sohn blass und hatte alle Unbefangenheit verloren. Er sprach, als diktierte ihm jemand die Wörter oder als kämen ihm jeden Moment die Tränen. Rigoberto unterbrach ihn nicht ein einziges Mal; er hörte zu, ohne sich zu rühren, völlig konzentriert auf das, was er hörte.
    Es war während der dreißigminütigen Hofpause gewesen, die sie nachmittags im Markham College hatten, vor den letzten Unterrichtsstunden. Statt auf den Fußballplatz zu gehen, wo seine Klassenkameraden bolzten oder auf dem Rasen lagen und sich unterhielten, setzte Fonchito sich in eine Ecke der Tribüne, um noch einmal die Lektion in Mathe durchzugehen, das Fach, das ihm am meisten Kopfzerbrechen bereitete. Er versenkte sich gerade in eine komplizierte Gleichungmit Vektoren und Kubikwurzeln, als etwas – »wie ein sechster Sinn, Papa« – ihm sagte, dass jemand ihn beobachtete. Er schaute auf, und da saß er, der Herr, ganz nah bei ihm, auf der menschenleeren Tribüne. Er war so tadellos und schlicht gekleidet wie immer, mit Krawatte, violettem Pulli und grauem Sakko. Unter dem Arm hielt er eine Aktentasche.
    »Hallo, Fonchito«, sagte er und lächelte so ungezwungen, als wären sie alte Bekannte. »Deine Klassenkameraden spielen, und du lernst. Ein Musterschüler, das hatte ich mir schon gedacht. So soll es ja auch sein.«
    »Wann genau er gekommen und auf

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