Ein diskreter Held
sage es dir noch einmal, mein Junge. Ausdrückliches Verbot, von Unbekannten etwas anzunehmen. Keine Einladungen, kein Gespräch, kein gar nichts. Du hast verstanden, ja?Oder willst du, dass ich dir ein für alle Mal verbiete, auf die Straße zu gehen?«
»Ich bin alt genug, Papa. Ich bin fünfzehn, bitte.«
»Ja, ein geradezu biblisches Alter«, lachte Lucrecia. Aber dann hörte Rigoberto, wie sie in der Dunkelheit seufzte. »Wenn wir gewusst hätten, wohin das führt. Ein Albtraum, mein Gott. Das geht nun schon ein Jahr so, schätze ich.«
»Wenn nicht schon länger, Liebes.«
Rigoberto hatte diese Episode mit dem Unbekannten, der in dem kleinen Café im Stadtpark von Barranco mit Fonchito von Luzifer sprach, gleich wieder vergessen. Doch er erinnerte sich daran und begann sich Sorgen zu machen, als eine Woche später, so sein Sohn, nach einem Fußballspiel im Colegio San Agustín, jener Herr ihn erneut ansprach.
»Ich kam gerade von den Umkleidekabinen und wollte mich mit dem Stups Pezzuolo treffen, um zusammen ein Sammeltaxi nach Barranco zu nehmen. Du wirst es nicht glauben, Papa, aber da war er wieder. Derselbe Mann.«
»Hallo, Luzifer«, grüßte ihn der Herr, genauso herzlich lächelnd wie beim letzten Mal. »Erinnerst du dich?«
Er saß in der Halle zwischen dem Fußballplatz und dem Ausgang des Colegio San Agustín. Hinter ihm war die Schlange der Autos, Lieferwagen und Busse zu sehen, die über die Avenida Javier Prado krochen. Einige Fahrzeuge fuhren mit Licht.
»Ja, klar erinnere ich mich«, sagte Fonchito. Und sehr bestimmt sagte er ihm ins Gesicht: »Mein Vater hat mir verboten, mit Unbekannten zu sprechen, tut mir leid.«
»Daran hat Rigoberto sehr gut getan«, sagte der Herr und nickte. Er trug denselben grauen Anzug wie beim letzten Mal, aber der violette Pulli war ein anderer, ohne weiße Rauten. »Lima ist voller böser Menschen. Perverse und Triebtäter, wo immer man hinschaut. Und gutaussehende Jungs wie du sind ihre liebsten Ziele.«
Don Rigoberto riss die Augen auf:
»Er hat meinen Namen genannt? Hat er dir gesagt, dass er mich kennt?«
»Kennen Sie meinen Vater, Señor?«
»Ich habe auch Eloísa kennengelernt, deine Mutter«, sagte der Herr und wurde sehr ernst. »Ebenso kenne ich Lucrecia, deine Stiefmutter. Ich kann nicht sagen, dass wir Freunde sind, wir sind uns nur kurz begegnet. Aber beide, dein Vater und deine Stiefmutter, haben mir sehr gefallen. Gleich als ich sie zum ersten Mal sah, fand ich, sie sind ein großartiges Paar. Es freut mich, dass sie so auf dich aufpassen und um dich besorgt sind. Ein hübscher Junge wie du ist in diesem Sodom und Gomorrha von Lima alles andere als sicher.«
»Könntest du mir sagen, was das ist, Sodom und Gomorrha«, fragte Fonchito, und Rigoberto bemerkte in seinen Augen ein maliziöses kleines Leuchten.
»Zwei alte Städte, die so verdorben waren, dass Gott sie vernichtet hat«, sagte er mit grüblerischer Miene. »Das glauben zumindest die Gläubigen. Du solltest ein bisschen in der Bibel lesen, mein Junge. Zur Allgemeinbildung. Wenigstens das Neue Testament. Die Welt, in der wir leben, ist voller biblischer Bezüge, und wenn du sie nicht verstehst, lebst du in völliger Unwissenheit und Verwirrung. Verstehst zum Beispiel nichts von klassischer Kunst, von der Geschichte des Altertums. Bist du sicher, dass dieser Mensch gesagt hat, dass er Lucrecia und mich kennt?«
»Und dass er auch Mama kennengelernt hat«, präzisierte Fonchito. »Er hat mir sogar ihren Namen gesagt: Eloísa. So wie er es sagte, musste man ihm einfach glauben, Papa.«
»Hat er dir gesagt, wie er heißt?«
»Na ja, das nicht«, Fonchito war verwirrt. »Ich habe ihn nicht danach gefragt und ihm auch keine Gelegenheit gegeben. Da du mir verboten hast, auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen, bin ich weggerannt. Aber ganz bestimmt kennt er dich, kennt er euch. Sonst hätte er mir nicht deinen Namen gesagt, würde den von Mama nicht kennen und dass meine Stiefmutter Lucrecia heißt.«
»Wenn du ihm zufällig noch mal begegnest, frag ihn doch, wie er heißt«, sagte Rigoberto und nahm den Jungen unter dieLupe: Konnte es wahr sein, was er ihnen erzählte, oder hatte er sich das wieder ausgedacht? »Aber fang nicht an, dich mit ihm zu unterhalten. Und erst recht keine Coca-Cola oder sonst was von ihm. Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass er einer dieser verdorbenen Typen ist, die in Lima herumlaufen und nach kleinen Jungs Ausschau halten. Was sollte er sonst beim
Weitere Kostenlose Bücher