Ein Drama in Livland
der Ihnen mindestens zwölf Stunden Verspätung kosten wird.
– Nur zwölf Stunden dann, wenn Broks seinem Versprechen gemäß morgen frühzeitig wiederkommt, und dann könnt’ ich immer noch binnen vier Tagen in Riga zurück sein… zur Feier meiner Hochzeit…
– Mit der hübschen Zenaïde Parenzof… ja ja… weiß schon…
– Das glaub’ ich gern… Sie wissen eben alles!
– Na, das denn doch nicht, so weiß ich zum Beispiel schon nicht, wohin sich Ihr Reisegefährte begeben wird; danach, daß er morgen so früh fortgehen will, ohne auf Sie zu warten, scheint es allerdings, daß er in Pernau zu bleiben gedenkt.
– Das wäre wohl möglich, meinte Poch, und wenn ich den Mann nicht wiedersehen sollte, so wünsch’ ich ihm glückliche Reise. Doch sagen Sie, Herr Eck, übernachten Sie heute auch hier im Wirtshause?
– Nein, Poch, uns ruft eine Zusammenkunft nach Pernau, und wir werden sehr bald aufbrechen. Sie werden ja, das wünsch’ ich Ihnen, nach einem tüchtigen Abendessen gut schlafen… lassen Sie nur Ihre Mappe nicht abhanden kommen.
– Die hängt an mir so fest wie die Ohren am Kopfe! erwiderte der Bankbeamte mit hellem Lachen.
– Vorwärts nun, rief der Brigadier seinem Untergebenen zu. Wir wollen uns aber bis ans Kinn fest einhüllen, sonst dringt uns der Sturm bis zu den Knochen hindurch. Gute Nacht, Poch!
– Gute Nacht, Herr Eck.«
Die beiden Polizeiagenten öffneten die Tür, die Kroff erst durch eine Querstange an der Innenseite und dann noch durch zweimaliges Umdrehen eines großen Schlüssels verschloß, den er sofort wieder abzog.
Um diese Stunde war kaum noch zu erwarten, daß jemand im »Umgebrochenen Kreuze« wegen Nachtquartiers vorsprechen würde, war es doch schon eine Seltenheit, daß zwei Reisende bis zum nächsten Morgen zwei Zimmer in Anspruch genommen hatten, und ohne diesen Unfall der Post wäre der Schenkwirt in seinem vereinsamten Kabak wie gewöhnlich allein gewesen.
Inzwischen hatte Poch seine Mahlzeit mit großem Appetit verzehrt. Speise und Trank, mehr brauchte es kaum, seinen Kräften wieder aufzuhelfen, und das Bett würde nun vollenden, was der Tisch so gut begonnen hatte.
Ehe Kroff sich in sein Zimmer zurückzog, wartete er, bis Poch dasseinige eingenommen hatte. Er hielt sich nahe dem Ofen, aus dem zuweilen infolge des Sturmes dicker Rauch hervorquoll, der das ganze Gastzimmer mit warmen Schwaden erfüllte.
Kroff bemühte sich dann, den Rauch mit einer hin-und hergeschwenkten Serviette zu vertreiben, deren Falten dabei wie eine Peitsche klatschten.
Das auf dem Tische stehende Talglicht flackerte dazu hoch auf und ließ die Schatten aller Gegenstände in seinem Scheinfelde tanzen.
Draußen schlugen so ungestüme Windstöße an die Fensterläden, daß man glauben konnte, es poche einer kräftig dagegen.
»Hörten Sie nicht eben… sagte Poch lauschend, als die Tür unter einem so gewaltsamen Stoße zitterte und knarrte, daß man sich über die Ursache wohl täuschen konnte.
– Das ist niemand, versicherte der Gastwirt, draußen ist bestimmt kein Mensch. An dergleichen bin ich gewöhnt. Im tiefen Winter haben wir oft noch weit schlimmeres Wetter.
– Ja freilich, meinte Poch, wer sollte sich auch diese Nacht noch auf der Landstraße befinden, außer verdächtigem Gesindel und Polizisten.
– Gewiß… Sie haben damit völlig recht.«
Es war jetzt bald neun Uhr. Der Bankbeamte erhob sich, nahm seine Mappe sorgsam unter den Arm, ergriff dann das angezündete Licht, das Kroff ihm hinhielt. und begab sich nach seinem Zimmer.
Der Gastwirt hielt noch eine alte Laterne mit großen Scheiben in der Hand, die ihm als Leuchte dienen sollte, wenn sich die Tür hinter Poch geschlossen hatte.
»Wollen Sie sich denn nicht niederlegen? fragte dieser noch vor dem Betreten seines Zimmers.
– O doch, antwortete Kroff, ich muß nur erst noch meinen allabendlichen Rundgang machen.
– Durch Ihr ganzes Anwesen?
– Jawohl, überallhin; ich muß da nachsehen, ob die Hühner im Stalle auf den Stangen sitzen und in Sicherheit sind, denn zuweilen fehlen mir am Morgen eines oder zwei.
– Aha, bemerkte Poch, die Füchse.
– Die Füchse und auch die Wölfe. Diesen verwünschten Burschen macht es keine Schwierigkeit, über die Hecke zu springen. Da das Fenster meiner Stube nach dem Garten hinausgeht, brenne ich ihnen wohl manchmal eine Portion Blei aufs Fell. Wenn Sie also einen Schuß hören sollten, so beunruhigen Sie sich deswegen nicht.
– O, versicherte Poch,
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