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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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den Dank dafür abzutragen.
    – O, Dank… tausend Dank, Ilka! rief Wladimir. Ich bin schon dadurch belohnt genug, daß ich es deinem Vater ersparen konnte, seine Ehre auch nur einen Tag länger angezweifelt zu sehen!«
    Nach dem mannhaften Auftreten Wladimir Yanofs mußte die Schuldlosigkeit Dimitri Nicolefs ja ohne weiters anerkannt werden. Die Nachricht davon war sofort nach außen gedrungen. Daß die Herren Johausen ihr mit gehässiger Starrsinnigkeit keinen Glauben beimessen wollten, daß der Major Verder einen Slawen nur mit Bedauern von der gegen ihn erhobenen Anklage befreit sah, daß die Freunde des Bankiers dem unerwarteten Zwischenfall gegenüber noch allerlei Bedenken trugen, ist ja kaum zu verwundern, und es wird sich bald zeigen, ob sie schon die Waffen vor dem gestreckt hatten, was eigentlich so gut wie ein Beweis war.
    Es ist ja aber bekannt, mit welcher, oft unlogischen und auch oft nicht dauernden Schnelligkeit sich ein Umschwung der öffentlichen Meinung vollzieht, und das kam auch im vorliegenden Falle zum Vorschein. Jetzt war schon nicht mehr davon die Rede, Dimitri Nicolefs Haus zu stürmen… alle Köpfe hatten sich beruhigt, und die Polizei hatte nicht mehr nötig, über die Sicherheit des Lehrers zu wachen.
    Zunächst galt es nur noch zu entscheiden, was mit Wladimir Yanof geschehen sollte. Hatte ihn auch nur sein Ehrgefühl, sein geschärftes Pflichtbewußtsein nach Riga geführt, so blieb er dennoch ein politisch verurteilter Flüchtling aus den Bergwerken Sibiriens.
     

    Er hat die Steppen des russischen Reiches durchmessen. (S. 173.)
     
    Dem gab auch der Oberst Raguenof mit einer Stimme Ausdruck, worin sich offenbares Wohlwollen mit einer gewissen Zurückhaltung des moskowitischen Beamten und Chefs der Polizei mischte.
    »Wladimir Yanof! sagte er, Sie haben die Acht gebrochen und das muß ich dem Gouverneur dienstlich melden. Ich werde jetzt also den General Gorko aufsuchen, sehe aber kein Hindernis, Sie bis zu meiner Rückkehr in diesem Hause zu lassen, wenn Sie Ihr Wort verpfänden, inzwischen keinen Fluchtversuch zu unternehmen.
    – Mein Wort darauf, Herr Oberst,« antwortete Wladimir.
    Der Oberst Raguenof ließ Eck mit dessen Mannschaft auf der Straße und machte sich sofort auf den Weg.
    Wir dürfen es wohl unterlassen, die rührende Szene zu schildern, die sich jetzt zwischen Jean, Ilka und Wladimir abspielte. Der Doktor Hamine und der Konsul Delaporte hatten die Überglücklichen allein gelassen. Das war eine kurze Zeit des Glücks, wie es die Familie des Lehrers seit langer Zeit nicht mehr kannte. Die Drei sahen einander ja endlich wieder, sprachen miteinander und schmiedeten fast schon Zukunftspläne. Niemand dachte augenblicklich an die Lage Wladimir Yanofs, an seine frühere Verurteilung und ebensowenig an die Folgen seiner Flucht, die ja recht schlimme sein konnten.
    Nach einer Stunde kam der Oberst Raguenof zurück.

    »Auf Befehl des Generals Gorko, begann er, an Wladimir gewendet, werden Sie sich nach der Feste von Riga begeben und dort die weiteren Maßnahmen abwarten, deren Anordnung man von Petersburg erbitten wird.
    – Ich bin bereit zu gehorchen, Herr Oberst, erklärte Wladimir Yanof ruhig. – Gott befohlen, lieber Vater, sagte er zu Nicolef, lebe wohl, mein Bruder – zu Jean – und die Hand Ilkas ergreifend: Gott behüte dich, herzliebe Schwester…
    – Nein… dein Weib!« antwortete das junge Mädchen.
    Dann kam die Trennung… wer hätte wissen können, für wie lange?
    Von diesem Tage an wendete sich das außerordentliche Interesse an dieser noch lange nicht abgeschlossenen Angelegenheit fast ausschließlich dem Verbannten zu, der nicht gezögert hatte, zur Entlastung des Angeschuldigten seine Freiheit, ja – er galt ja als politischer Verbrecher – sein Leben aufs Spiel zu setzen. Es wäre wahrlich schwer gewesen, seine Handlungsweise nicht zu bewundern, wie man daneben auch über Dimitri Nicolef denken mochte. Selbst im Lager der Gegner priesen vorzüglich die Frauen um die Wette den hohen Edelmut, der Wladimir Yanof bei seinem Tun geleitet hatte. Ein wenig erweckte deren Teilnahme für ihn wohl auch seine Liebe zu Ilka, und das grausame Schicksal, gerade da voneinander gerissen zu werden, wo beide für immer verbunden werden sollten. Jetzt fragte man sich nun besorgt, was der Kaiser in diesem Falle beschließen und ob man den Flüchtling nach Sibirien zurückschicken werde, das dieser unter so vielen Mühseligkeiten und Gefahren – freilich als

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