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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Bannbrüchiger – verlassen hatte. Würde seine Verlobte nach dem Glücke des so kurzen Wiedersehens verurteilt sein, ihn für immer zu betrauern?… Wenn er die Feste von Riga wieder verließ, würde ihm da seine hochsinnige Tat eine Begnadigung erwirkt haben oder sollte er dann nochmals den Dornenweg in die Verbannung zurücklegen?
    Immerhin wäre es ein Irrtum, zu glauben, daß das unerwartete Auftreten Wladimir Yanofs alle von der Unschuld Dimitri Nicolefs überzeugt hätte.
    Hier in Riga mit seiner vorwiegend germanischen Bevölkerung konnte das ja kaum anders sein. Vorzüglich die oberen Gesellschaftsklassen gestanden noch keineswegs zu, daß dieser Lehrer, der Vertreter der slawischen Interessen, schon von dem auf ihm lastenden Makel gereinigt sei. Die Tageszeitungen dieser Partei wußten mit erkennbar böswilliger Absicht noch immer das und jenes dagegen einzuwenden. Zunächst war der Mörder Pochs ja noch unentdeckt… man hatte nur ein Opfer, das nach Vergeltung schrie, vor allem durch den Mund der haßerfüllten und unbeugsamen Gegner des moskowitischen Einflusses.
    Das Haus der Gebrüder Johausen bildete den Herd, wo dieser Haß am hellsten aufloderte, und hier war man übereingekommen, ihn nicht verlöschen zu lassen.
    In diesen Kreisen hatte man gleichsam als Tagesbefehl die Forderung aufgestellt, vorstellig zu werden gegen die Beamten, die in dieser Angelegenheit nicht mit der nötigen Schärfe aufträten. Man scheute sich selbst nicht, daneben durchblicken zu lassen, daß sie unter einem gewissen Druck von oben ständen. War denn Dimitri Nicolef wirklich schon gänzlich außer Verfolgung gesetzt?… Wagte man zu behaupten, daß seine Schuldlosigkeit von niemand mehr angezweifelt würde? Zerstörte das Erscheinen Wladimir Yanofs wohl tatsächlich alle Handhaben, die durch die bisherige Untersuchung des Falles gewonnen worden waren?
    Auch Frank Johausen teilte die Ansicht der meisten, vorzüglich der Leute die sich ihre Beute auf keinen Fall entgehen lassen wollten.
    »Jetzt weiß man ja, warum Nicolef jene Reise unternommen hatte; er wollte mit Wladimir Yanof in Pernau zusammentreffen… nun ja, das mag auch zugegeben werden. Daß er die Schenke schon früh um vier Uhr verließ, geschah, um Pernau zu Fuß noch zeitig am Morgen zu erreichen… auch das mag richtig sein. Doch hat er die Nacht vom dreizehnten zum vierzehnten im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ zugebracht?… Ja oder nein?… Ist Poch in derselben Nacht in dem genannten Kabak ermordet und dann beraubt worden?… Ja oder nein?… Kann der Mörder ein anderer sein als der Reisende, der das Zimmer inne hatte, wo das Werkzeug gefunden wurde, mit dem er sich in das Zimmer des Unglücklichen gewaltsam Zugang verschaffen hat?… War dieser Reisende Dimitri Nicolef?… Ja oder nein?«
    In dieser Weise gestellte Fragen mußten ja wohl oder übel eine bejahende Antwort finden. Doch wenn man nun anders fragte, z.B.: Hätte das Verbrechen nicht auch von einem von außen eingedrungenen Übeltäter begangen werden können?… Ja oder nein?… Könnte das nicht ebensogut der Herbergswirt Kroff gewesen sein?… Ja oder nein?… Würde es diesem – vor oder nach dem Weggange des Lehrers – nicht weit leichter als Nicolef gewesen sein, Poch, als dieser schlief, meuchlings zu überfallen?… Ja oder nein?… Wußte dieser Kroff nicht, daß die Mappe des Bankbeamten eine beträchtliche Summe enthielt?… Wie da?…
    Die Untersuchung erteilte hierauf zwar die Antwort, daß sich beim Verhör keinerlei Verdachtsgründe gegen den Schenkwirt ergeben hätten, doch diese Antwort brauchte noch nicht unfehlbar richtig zu sein. Anderseits verschloß sich die Behörde ja auch nicht der Annahme, daß der Urheber des Verbrechens einer jener Landstreicher gewesen sein könnte, deren Auftreten gerade aus dem oberen Livland mehrfach gemeldet worden war.
    Daran dachte auch der Oberst Raguenof, als er sich am nächsten Tag über die Angelegenheit mit dem Major Verder besprach, freilich ohne daß beide, wie man sich leicht denken kann, darüber zu einer Verständigung kamen.
    »Sehen Sie, Major, sagte Raguenos, daß Nicolef in der Nacht durch das Fenster seiner Stube gestiegen wäre, um in die Pochs einzudringen, das erscheint mir doch als eine recht unbegründete Annahme…
    – Aber die Spuren… die Schmarren der Fensterbank… unterbrach ihn der Major.
    – Diese Spuren?… O, da müßte man doch zunächst wissen, ob es ganz frische waren, und das ist ja in keiner

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