Ein Drama in Livland
Trennung, nach so schweren Prüfungen und so vielen Gefahren wiederzusehen!
Fand hier nicht ein Vater gleichsam seinen Sohn wieder? Nicolef übergab Wladimir ein wohlverschlossenes Paket, das Johann Yanofs gesamtes Vermögen enthielt, und da ihm danach verlangte, der Einschiffung des Entwichenen beizuwohnen, blieb er zwei Tage bei diesem. Die Abfahrt des Schiffes, auf dem Wladimir Yanof Passage genommen hatte, verzögerte sich aber unerwarteterweise, und da Dimitri Nicolef kaum länger fern zu bleiben wagen durfte, mußte er nach Riga zurückkehren. Der junge Mann trug ihm die zärtlichsten Grüße an Ilka auf, ließ ihn dabei aber hoch und teuer versprechen, seiner Verlobten von seiner Flucht nicht eher Mitteilung zu machen, als bis er vor der schrecklichen moskowitischen Polizei sicher in Schutz wäre. Er würde ihm schreiben, sobald er das melden könnte, und vielleicht konnte der Lehrer dann mit Ilka zu ihm kommen.
Nicolef umarmte Wladimir, verließ Pernau und traf in der Nacht vom 16. zum 17. wieder in Riga ein, natürlich ohne eine Ahnung von der furchtbaren Anklage, die man gegen ihn erhoben hatte.
Dem Leser ist bekannt, mit welch stolzem Selbstbewußtsein der Lehrer diese Beschuldigung zurückwies oder sie vielmehr verachtete, welche Haltung er vor dem Untersuchungsrichter bewahrte; ebenso wie der Beamte dringend darauf bestand, daß Nicolef sich über den Zweck seiner Reise äußern und angeben sollte, wohin er sich von der Schenke »Zum umgebrochenen Kreuze« begeben habe. Dimitri Nicolef verweigerte darüber aber jede Auskunft. Er wollte davon nicht eher sprechen, als bis er aus einem Briefe Wladimirs erfahren hätte, daß sich der Verbannte in Sicherheit befände. Ein solcher Brief kam leider nicht an, und wir wissen ja, mit welcher Ungeduld ihn Nicolef die beiden letzten Tage erwartete. Jetzt aber, wo er, verdächtigt durch sein hartnäckiges Schweigen, das er nicht brechen wollte, von seinen politischen Gegnern mit unerbittlichem Hasse verfolgt und von der wütenden Volksmenge mit dem Tode bedroht, in Haft genommen werden sollte, jetzt erschien Wladimir Yanof selbst auf der Bildfläche.
Und jetzt wußten alle, wer er war, dieser Verbannte, der nach Riga hergeeilt war. Als die Haustür sich öffnete, fiel Wladimir Yanof dem Dimitri Nicolef in die Arme, er drückte die Verlobte stürmisch an sein Herz, umarmte Jean, drückte die Hände, die sich ihm entgegenstreckten und erklärte angesichts des Obersten und des Majors Verder, die ihm auf dem Fuße gefolgt waren:
»Ja… in Pernau war ich… doch als ich dort hörte, welchen Verbrechens Nicolef geziehen worden sei, als ich vernahm, man beschuldige ihn, der Urheber des Verbrechens im ‘Umgebrochenen Kreuze’ zu sein, als die Tagesblätter verkündigten, daß er sich weigerte, die Veranlassung zu seiner Reise anzugeben, obwohl er nur ein Wort zu sagen, nur einen Namen, den meinigen, zu nennen brauchte, sich zu rechtfertigen, und daß er das dennoch nicht tat, um mich nicht zu gefährden, da habe ich nicht länger zögern können, habe ich eingesehen, was meine Pflicht war, und habe Pernau verlassen, und da bin ich nun hier!… Was du für mich hast tun wollen, Dimitri Nicolef, du, der bewährte Freund Johann Yanofs und mein zweiter Vater, das beschloß ich, für dich zu tun.
– Und daran hast du unrecht getan, Wladimir… schwer unrecht, Wladimir!… Ich bin ja unschuldig, hatte nichts zu fürchten und befürchtete auch nichts; meine Schuldlosigkeit mußte doch bald an den Tag kommen.
– Ich… ich hätte nicht recht gehandelt, Ilka? wendete sich Wladimir an Ilka.
– Antworte darauf nicht, mein Kind, sagte Nicolef, du bist nicht berufen, zwischen deinem Vater und deinem Verlobten eine Entscheidung zu fällen. Ich achte dich hoch, Wladimir, wegen dessen, was du tun zu müssen glaubtest, doch ich tadle dich, weil du es getan hast. Bei besserer Überlegung würdest du begriffen haben, daß es wichtiger gewesen wäre, erst dich in Sicherheit zu bringen. Von da aus hättest du geschrieben, und nach Empfang deines Briefes würde ich gesprochen, würde ich die Gründe zu meiner Reise dargelegt haben. Konnte ich denn nicht mehr die wenigen Tage schwerer Prüfung auf mich nehmen, damit du erst Schutz vor weiterer Gefahr fändest?
– Liebster Vater, fiel da Ilka mit fester Stimme ein, du wirst eine Antwort von mir doch anhören müssen. Was auch kommen möge: Wladimir hat ehrenhaft und recht gehandelt, und mein ganzes Leben wird nicht ausreichen, ihm
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