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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Weise nachgewiesen. Der Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ liegt völlig vereinsamt an der Landstraße. Ist da die Möglichkeit ausgeschlossen, daß so ein Strauchdieb in jener oder in einer anderen Nacht versucht hätte, da mit Gewalt einzudringen?
    – Dazu erlaube ich mir zu bemerken, Herr Oberst, daß der Mörder dann hätte wissen müssen, daß hier ein reicher Fang zu machen wäre. Davon war aber Nicolef hinreichend unterrichtet…
    – Und andere nicht minder, fiel der Oberst Raguenos eifrigst ein, denn Poch war so unüberlegt gewesen, davon zu sprechen und seine Mappe jedermann sehen zu lassen. Wußte das Kroff also etwa nicht, oder Broks, der Postschaffner und ebenso dessen Jemschiks, die den Wagen von einem Pferdewechsel zum anderen führten, ganz zu schweigen von den Bauern und Holzfällern, die in der Gaststube der einsamen Schenke saßen, als Nicolef und der Bankbeamte durch deren Tür eintraten?»
    Diesen Einwänden ließ sich ein gewisser Wert nicht wohl absprechen. Der Verdacht konnte nicht einzig und allein auf Dimitri Nicolef fallen. Mindestens hätte noch nachgewiesen werden müssen, daß der Privatlehrer sich in so bedrückender Geldverlegenheit befunden habe, daß er, um dieser abzuhelfen, nicht einmal vor einem Raube und gleichzeitig einem Morde zurückgeschreckt wäre.
    Trotz alledem wollte der Major sich nicht fügen, sondern beharrte bei seiner Überzeugung von der Schuld Nicolefs.
    »Und ich, antwortete ihm darauf der Oberst, ich bleibe dabei, daß die Deutschen immer Deutsche sind.
    – Wie die Slawen immer und allezeit Slawen, erwiderte der Major.
    – Nun, lassen wir den Richter Kerstorf seine Untersuchung fortsetzen, sagte schließlich der Oberst Raguenof. Wenn die Sache vollständig aufgeklärt ist, wird es noch Zeit sein, das Für und das Wider abzuwägen.«
    Der Kriminalbeamte, der sich durch die von politischer Leidenschaft bestimmte öffentliche Meinung nicht im geringsten beeinflussen ließ, betrieb inzwischen die Untersuchung der Angelegenheit mit größter Sorgfalt. Er kannte jetzt – worüber der Lehrer vorher jede Auskunft verweigert hatte – die Gründe für dessen Reise, und das bestärkte ihn in seinem Widerstreben, den Ehrenmann für schuldig zu halten. Wer hatte dann aber das Verbrechen begangen? Wie viele Zeugen hatte er schon aufgerufen: die Postillone, die den Wagen von Riga bis Pernau begleitet hatten, die Bauern und Waldarbeiter, die, als Poch eintraf, in der Schenke beim Abendtrunk saßen, überhaupt alle, die davon wußten oder wissen konnten, was der Bankbeamte in Reval vorhatte, d. h. daß er dort für Rechnung der Gebrüder Johausen einen größeren Geldbetrag abliefern wollte… und doch hatte sich nichts ergeben, was den einen oder den andern belastet hätte.
    Der Schaffner Broks wurde wiederholt einem Verhör unterzogen. Besser als jeder andere kannte er alle Verhältnisse Pochs und wußte, daß dieser eine große Summe baren Geldes bei sich hatte. Gegen den wackeren Mann konnte aber auch nicht der leiseste Verdacht aufkommen. Nach dem Unfalle mit dem Postwagen hatte er sich mit den Spannpferden und dem Postillon sofort nach Pernau begeben und dort in der Pferdewechselstelle geschlafen… das stand außer allem Zweifel. Das Alibi war nachgewiesen, und er konnte in der dunkeln Angelegenheit nicht weiter in Betracht kommen.
    Das Eingreifen eines Übeltäters, der von draußen gekommen wäre, erschien also so gut wie ausgeschlossen. Wie hätte auch ein Landstreicher, ein Mensch ohne jede Beziehung zu dem Bankbeamten, auf den Gedanken kommen sollen einen Diebstahl zu begehen, wenn er nicht etwa auf irgend eine Weise in Riga erfahren hatte, mit welcher Art Besorgung Poch beauftragt wäre. Dann müßte er diesem aber auch noch mit der Schnellpost nachgeeilt sein, um eine günstige Gelegenheit abzupassen, und müßte sich den Unfall zunutze gemacht haben, der Poch nötigte, im Kabak »Zum umgebrochenen Kreuze« Unterkunft zu suchen.
    War eine solche Annahme immerhin denkbar, so lag die Wahrscheinlichkeit doch weit näher, daß das Verbrechen von dem einen oder anderen derer begangen worden wäre, die jene Nacht in der Schenke zugebracht hatten. Dabei kamen aber nur der Schenkwirt selbst und Dimitri Nicolef in Frage.
    Seit dem traurigen Vorfalle war Kroff, wie der Leser weiß, unter Überwachung zweier Polizisten im Kabak geblieben. Wiederholt dem Untersuchungsrichter vorgeführt, hatte er mehrere lange und eingehende Verhöre bestanden, doch hatte weder sein

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