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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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war die Mehrzahl davon feindlich gegen den gestimmt, den die öffentliche Meinung als den Mörder des Bankbeamten bezeichnete.
    Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, diesen der Gefahr, der erhitzten Menge in die Hände zu fallen, durch seine Verhaftung zu entziehen. War er unschuldig, so trat seine Unschuld nur um so glänzender zutage, weil er dann unrechtmäßigerweise in die Feste gebracht worden wäre. In diesen bangen Stunden mochten der Gouverneur und der Oberst wohl auch den Gedanken gehabt haben, eine solche Maßregel im Interesse Dimitri Nicolefs zu ergreifen.
    Gegen halb zwei Uhr verdoppelte sich das Geschrei auf der Straße, als an deren Eingang der Leichenzug auftauchte. Das Haus erbebte fast von den sinnlosen Verwünschungen der Volksmenge. Da verließ der Lehrer, zum Entsetzen seines Sohnes, seiner Tochter und seiner Feunde, plötzlich seine Studierstube und kam nach dem Wohnzimmer herunter.
    »Was ist denn jetzt da draußen los? fragte er.
    – Zurück, zurück, Dimitri! antwortete der Arzt drängend. Eben wird der unglückliche Poch zu Grabe geleitet.
    – Der, den ich ermordet habe! sagte Nicolef mit eisiger Ruhe.
    – Ich bitte dich, ziehe dich zurück…
    – Vater, bester Vater!« schlossen Jean und Ilka sich der Bitte an.
    Dimitri Nicolef, der sich jetzt in einer unbeschreiblichen Gemütsverfassung befand, wollte auf niemand hören; er trat vielmehr an das Fenster des Zimmers heran und suchte es zu öffnen.
    »Das wirst du nicht tun! rief der Arzt. Das wäre die schlimmste Unklugheit!
    – Und ich tue es dennoch!«
    Bevor ihn jemand hätte daran hindern können, zeigte er sich an dem geöffneten Fenster.
    Sofort dröhnten tausend Verwünschungen gegen ihn heraus.
     

    »Zurück, ihr Unglückseligen!« (S. 171.)
     
    In diesem Augenblicke hatte der Trauerzug sein Haus erreicht. Gleich einer tieftrauernden Witwe folgte Zenaïde Parenzof dem mit Blumen und Kränzen überreich geschmückten Sarge. Hinter ihr kamen die Herren Johausen und alle Angestellten der Firma, die den Freunden des Verblichenen vorausgingen, und Parteigänger, denen es mehr darauf ankam, die Feierlichkeit zu einer Manifestation zu benutzen.
    Vor dem Hause des Lehrers machte das Gefolge Halt, inmitten des Tobens, der von allen Seiten kommenden Ausrufe und der Todesandrohungen, die diese begleiteten.
    Der Oberst Raguenos und der Major Verder waren zwar mit einem ansehnlichen Polizeiaufgebot zur Stelle, es blieb aber dennoch zu befürchten, daß Eck und seine Mannschaft außer stande sein könnten, die Leidenschaften der Volksmenge gebührend im Zaume zu halten.
    Gleich als sich Dimitri Nicolef am Fenster gezeigt hatte, scholl es zu diesem »Tod dem Mörder!… Tod dem Mörder!« aus hunderten von Kehlen hinaus.
    Die Arme gekreuzt, den Kopf stolz erhoben, eine unbewegliche Statue, die Statue der erhabenen Verachtung, kam kein Wort über seine Lippen. Seine beiden Kinder, der Arzt und Herr Delaporte, die seinen gewagten Schritt nicht hatten verhindern können, hielten sich an seiner Seite.
    Inzwischen setzte sich der durch das Gedränge aufgehaltene Zug wieder in Bewegung. Das Schreien und Toben wurde aber nur noch ärger. Die Wütendsten stürzten auf die Haustür zu und versuchten sie zu sprengen.
    Dem Obersten, dem Major und den Polizisten gelang es zum Glück, die Unholde zurückzutreiben. Sie sahen aber ein, daß es zur Rettung des Lebens Nicolefs unumgänglich sein werde, ihn in Haft zu nehmen, und auch da fürchteten sie noch, daß er beim Betreten der Straße umgebracht werden könnte.
    Trotz des Widerstandes der Polizei war es zuletzt doch nahe daran, daß das Haus gestürmt wurde, doch da brach sich ein Mann durch die Menge Bahn bis zum Hause, sprang die Stufen vor der Tür hinan und stellte sich schützend vor diese hin.
    »Zurück, ihr Unglückseligen!« rief er mit Donnerstimme, die den Lärm bertönte.
    Vor seiner befehlenden Haltung wichen die Stürmenden lauschend zurück.
    Da trat Frank Johausen unvermutet auf den Fremden zu.
    »Wer seid Ihr? fragte er.
    – Ja… wer seid Ihr? wiederholte der Major Verder.
    – Ich… ich bin ein Verbannter, den Dimitri Nicolef um den Preis seiner Ehre zu retten versucht hat, und der jetzt kommt, ihn dafür um den Preis seines Lebens zu retten.
    – Euer Name? fragte der Oberst herantretend.
    – Wladimir Yanof.«

Zwölftes Kapitel.
Wladimir Yanof.
    Der Leser möge sich jetzt gefälligst um vierzehn Tage, bis zum Anfang dieser Geschichte, zurückversetzen.
    Da erscheint

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