Ein dunkler Ort
den Sternenstaub der Nacht.
Ich liebte diese Welt, wo Gutes Fehler überwiegt,
Ich fand sie schön, auch dort, wo Leben Narben macht.
Obwohl mir Engelchöre Größeres verheißen,
Lass ich nur widerwillig mich aus diesem Leben reißen.
»Das hast du geschrieben?« Kit sah ihre Freundin erstaunt an. »Aber, Sandy, das … das ist …«
»Du musst es nicht aussprechen«, unterbrach Sandy sie. »Ich weiß, dass es gut ist. Ich weiß aber auch, dass mir das nicht eingefallen ist.«
»Du hattest es irgendwie noch im Gedächtnis?«
»Muss wohl so sein«, sagte Sandy. »Selber hätte ich so was nicht schreiben können. Andererseits kann ich mich nicht daran erinnern, dieses Gedicht je gelesen zu haben. Ich hab eigentlich nie Gedichte gelesen, nur wenn es in der Schule verlangt wurde.«
»Mir kommt es ganz bestimmt nicht bekannt vor«, sage Kit. »Vielleicht weiß Ruth, wo es herkommt. Sie ist ziemlich belesen.«
Sie wollte aufstehen, aber Sandy hielt sie zurück.
»Lass uns Ruth da rauslassen.«
Kit war überrascht. »Warum?«
»Ich mag sie einfach nicht«, sagte Sandy. »Sie hat irgendwas an sich, das mich abstößt. Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber ich hab das Gefühl, dass sie im Innersten kalt wie ein Fisch ist und dass Ruth Crowder der einzige Mensch im Leben ist, der ihr echt was bedeutet.«
»Sie ist wahnsinnig schlau«, sagte Kit.
»Da hast du recht. Und sie gibt mir das Gefühl, so richtig dumm zu sein. Trotzdem …« Sandy holte tief Luft. »Ist wohl albern von mir. Okay, hol sie. Wenn das Ding berühmt ist, wird sie wahrscheinlich wissen, was es ist.«
Aber Ruth kannte das Gedicht nicht.
»Es ist eine Art Sonett«, sagte sie, nachdem sie sich das Blatt genau angesehen hatte. »Und es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich hab es noch nie gelesen.« Sie schaute zu Sandy rüber. »Wo hast du es her?«
Als Sandy nicht antwortete, übernahm Kit für sie.
»Sie hat es heute Nachmittag geschrieben.«
»Aber warum …« Ruth sprach nicht weiter, denn sie hatte begriffen, was diese Aussage bedeutete. In ihren dunklen Augen leuchtete Interesse auf. »Wie ist es dazu gekommen, Sandy? Schreibst du oft Gedichte?«
»Nie«, sagte Sandy. »Und ich kann ein Sonett nicht von einer anderen Gedichtform unterscheiden. Das ist ja das Irre. Ich bin nach dem Mittagessen in mein Zimmer gegangen und hab mich auf mein Bett gelegt und ein paar Algebraaufgaben angesehen. Dabei muss ich eingenickt sein, denn plötzlich merkte ich, dass eine Menge Zeit vergangen war. Ich hatte einen Bleistift in der Hand und auf der Seite neben der Matheaufgabe stand dieses Gedicht.«
»Abschied«, Ruth las den Titel noch einmal vor. Ihr Gesicht war gerötet, aber sie versuchte ihre Aufregung zu unterdrücken. »Erst Lynda und jetzt du. Das ist wirklich unglaublich.«
»Was hat Lynda denn damit zu tun?«, wollte Kit wissen.
»Siehst du die Verbindung denn nicht? Lynda hat noch nie gemalt, und trotzdem scheint sie plötzlich eine enorme Begabung zu haben und Bilder zu malen, die aussehen, als würden sie ins Museum gehören. Sandy hat nie Gedichte geschrieben … und hier sitzt sie nun und schreibt Sonette. Und ich …«
Sie hielt inne. Kit schaute sie verblüfft an. »Und du?«
»Und bei mir war’s ziemlich komplizierte Mathematik«, sagte Ruth, »Sachen, zu denen ich vorher keinen Zugang hatte. Zuerst dachte ich, ich würde einfach nur einen Haufen Zahlen niederschreiben. Ich konnte keinen Sinn darin sehen. Aber langsam dämmert bei mir das Verständnis. Es ist, als wäre ich von einem Lehrer unterrichtet worden, der viel – sehr viel – fähiger ist als Professor Farley.«
»Was genau willst du damit sagen?« Unter den Sommersprossen war Sandys Gesicht leichenblass. »Willst du etwa behaupten, das ist was Übernatürliches?«
Ruth warf ihr einen herausfordernden Blick zu. »Hast du eine bessere Erklärung?«
»Jede Erklärung ist besser als die«, sagte Sandy zittrig.
»Da war diese Frau«, sagte Ruth, »in dieser Nacht in deinem Zimmer, als Kit dich schreien gehört hat. Und dann hast du erlebt, dass du vor allen anderen wusstest, dass deine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Wenn das keine übernatürlichen Vorkommnisse waren, dann wüsste ich gern, wie du das nennen möchtest.«
»Das hast du ihr erzählt?« Sandy sah Kit anklagend an. »Das hab ich dir im Vertrauen gesagt.«
»Tut mir leid«, sagte Kit. »Ich hab das nicht für geheim gehalten. All diese Dinge sind Teil des
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