Ein dunkler Ort
Schubert.«
»Schubert? Und dann kennst du es nicht?« Kit konnte es nicht glauben. »Wie kannst du denn ein Stück von jemand so Berühmtem nicht kennen?«
»Du kennst es ja auch nicht.«
»Nein, aber ich behaupte ja auch nicht von mir, Musik studiert zu haben. Trotzdem weiß ich, dass Schubert schon sehr jung gestorben ist. So viel kann er also nicht geschrieben haben.«
»Hör mal, Kit …« Jules wich ihrem Blick jetzt nicht mehr aus. Seine Augen funkelten und es lag dieselbe Wut darin wie kurz vorher, als er sich zu ihr umgedreht hatte. »Ich weiß nicht, was plötzlich in dich gefahren ist, aber auf diese Art Verhör würde ich gern verzichten. Du hast keine Ahnung von Musik. Es kann gar nicht sein, dass du dieses Stück schon mal gehört hast. Es ist praktisch unbekannt.«
»Aber ich habe es gehört«, sagte Kit leise. Und sie wusste auch, wo das gewesen war.
Die Melodie auf dem Band war nämlich das bewegende Stück, das sie in ihrem Traum gespielt hatte.
NEUN
Im Oktober stellte Lynda ein Landschaftsbild fertig und Sandy schrieb ein Gedicht.
Das Landschaftsgemälde war ein Ölbild auf einer Leinwand von 60 × 100 cm. Es stellte einen See dar, der friedlich im goldenen Schein der Nachmittagssonne lag. Die Wälder dahinter waren im Schatten, aber im Vordergrund leuchteten Sonne und Wiesenblumen.
»Wo ist das?«, fragte Kit.
»In den Catskills«, sagte Lynda.
»Warst du da schon mal?«
»Ich glaub nicht, ich weiß aber, wie es da aussieht.« Lynda betrachtete ihr Bild stolz. »Ist doch hübsch, findest du nicht auch?«
Kit nickte. Das Bild war wirklich schön.
»Lynda.« Ruth hatte einen sanften Ton angeschlagen, als würde sie mit einem kleinen Kind reden. »Ich möchte, dass du einen Moment nachdenkst. Versuch dich daran zu erinnern, wie du beschlossen hast, genau diese Ansicht zu malen. Hast du das Bild vielleicht schon mal auf einem Kalenderblatt gesehen? Oder im Fernsehen?«
»Keine Ahnung«, sagte Lynda. Sie zog die Stirn kraus und dachte über die Frage nach. »Ist schon komisch, aber ich erinnere mich nicht, überhaupt irgendwas gedacht zu haben. Ich hab einfach die Farben angemischt, den Pinsel in die Hand genommen und angefangen zu malen.«
»Woher wusstest du, wie man die Farben mischt?«
»Das ist nicht schwer.«
»Könntest du es mir zeigen?«
»Nein«, sagte Lynda. »Das muss man instinktiv wissen. Ich kann es, aber einem anderen könnte ich nicht erklären, wie es geht.« Sie lächelte entschuldigend, dieses süße, sanfte Lächeln, das sie so viel jünger aussehen ließ, als sie eigentlich war. »Bedaure, Ruth. Man ist vermutlich einfach ein Naturtalent oder eben nicht.«
Sie zeigte das Ölgemälde Madame Duret, die es sehr bewunderte und im Esszimmer aufhängte. In der darauffolgenden Woche stellte Lynda noch zwei Bilder fertig, kleine, beide waren Landschaften. Auf dem einen Bild schien derselbe See zu sehen zu sein, nur aus einer anderen Perspektive, denn es zeigte einen Pfad, der ans Ufer hinunter führte. Auf dem anderen waren Felder in frischem Frühlingsgrün, die sich flach und fruchtbar unter einem blauen Himmel bis zum Horizont erstreckten. In die rechte Ecke von jedem Bild hatte Lynda in Druckbuchstaben die Initialien T. C. gesetzt.
» T. C. ?«, fragte Kit. »Das sind doch nicht deine Anfangsbuchstaben.«
»So werde ich meine Werke signieren«, ließ Lynda sie wissen.
»Aber warum? Was soll das denn bedeuten?« Kit war verwirrt.
»Nichts, eigentlich. Ist mir nur so eingefallen. Man muss ja nicht unter seinem echten Namen malen, und ich werde unter T. C. malen.«
Bald danach schrieb Sandy das Gedicht.
»Hab ich gemacht«, sagte sie ohne Umschweife und warf sich bäuchlings über das Fußende von Kits Bett, nachdem sie ihr ein Blatt liniertes Papier gereicht hatte, das offensichtlich aus einem Schulheft ausgerissen worden war. »Lies das und sag mir, was du davon hältst.«
Es war später Nachmittag und Kit, die müde war vom Lernen, ließ ihr Buch links liegen und nahm das Gedicht zur Hand. »Abschied« war die Überschrift. Sie überflog es kurz und las es dann noch einmal:
Ich dachte nie, dies sei ein Paradies,
Ich ging den harten Weg von Anfang an.
Kein Übel, das mich die Welt nicht finden ließ,
Und doch, treu trug die gute Erde meinen Fuß
Und Sommerwinde spielten mir durchs Haar.
Ich roch den Staub, er war ein süßer Gruß.
Ich fand, dass Morgenlicht nie schöner war.
Ich kenne graues Moor, wo Nebelschatten liegt,
Und Sonnenlicht im Fluss,
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