Ein Earl kommt selten allein (German Edition)
entkommen. Richard wartete und machte sich bereit zu helfen, so gut es ging. Allerdings tauchte nicht etwa das andere Bein auf – stattdessen erfüllte plötzlich Kerzenlicht das Zimmer, sodass sich Woodrows dunkle Gestalt am Fenster deutlich gegen den hellen Hintergrund abzeichnete.
Fluchend eilte Richard ins Arbeitszimmer zurück. Er stellte den leeren Dekanter im Vorbeigehen auf den Tisch, dann hastete er in die Eingangshalle und hätte beinahe Haversham umgerannt.
»Mylord!«, rief der Butler und blieb abrupt stehen. »Ihr seid –«
»Ja, ja, ich fühle mich schon wieder besser«, sagte Richard mit einem gezwungenen Lächeln. Er wusste, dass man dem Dienstpersonal erklärt hatte, er sei krank. Es freute ihn, dass der Mann immer noch für die Familie arbeitete und George ihn nicht rausgeworfen hatte, aber im Augenblick hatte er wirklich keine Zeit für ihn. Er drehte sich um und fügte hinzu: »Entschuldigung. Ich habe … äh … ich muss oben etwas erledigen.«
Richard wartete Havershams Reaktion gar nicht erst ab, sondern ließ ihn mit offenem Mund stehen und rannte die Treppe hoch, da er Daniel unbedingt vor dem Drachen namens Suzette retten wollte. Er war überzeugt, dass er sie oben im Zimmer gleich dabei sehen würde, wie sie Daniel ihren Kerzenständer auf den Kopf schlug und »Eindringling« schrie.
Doch als er die geschlossene Tür aufstieß, blieb er abrupt stehen. Offenbar hätte er sich um seinen Freund keine Sorgen machen müssen, und auch nicht um den Drachen namens Suzette. Die beiden standen eng umschlungen in einer höchst leidenschaftlichen Umarmung da – tatsächlich war sie so leidenschaftlich, dass anscheinend niemand von den beiden mitbekommen hatte, dass er in der Tür stand.
Richard fragte sich gerade, was er tun sollte, als sich eine Hand von Suzettes Rücken löste und ihn wegwinkte. Er zögerte einen Moment, aber dann entschied er sich, der Geste zu folgen. Daniel war ein ehrenhafter Mann und würde nichts tun, das Suzette oder ihrem Ruf schaden konnte. Abgesehen davon erinnerte er sich nun, da sich seine Panik etwas gelegt hatte, plötzlich daran, dass Georges Leiche immer noch im Gras lag.
Er zog die Tür leise wieder zu und wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er Daniels gedämpfte Stimme durch die Tür hindurch hörte: »Suzette, wir müssen jetzt aufhören. Ich sollte gehen. Es ist nicht angemessen, dass ich so in Ihrem Zimmer bin.«
»Oh, aber wir haben noch so vieles zu besprechen …«
Den Rest von Suzettes Worten bekam Richard schon nicht mehr mit. Er war überzeugt, dass Daniel schon bald zu ihm kommen würde, um ihm zu helfen, Georges Leiche wegzuschaffen.
Als Richard wieder nach unten kam, war Haversham nicht mehr zu sehen, aber eigentlich sollte er ohnehin gar nicht da sein. Der Mann stand jetzt seit vierzig Jahren in Diensten der Familie, hatte bereits einige Zeit vor der Geburt von Richard und George dort angefangen. Er war ein überwiegend stiller Diener, der seine Pflichten mit jener würdevollen Zurückhaltung versah, wie sie alle guten Butler besaßen, aber, Gott im Himmel, er war alt. Er sollte schlafen, nicht aufbleiben und warten müssen, bis auch alle anderen im Haus in ihren Betten waren. Allerdings wusste Richard nur zu gut, dass sich George aus seinem Alter und seiner Gebrechlichkeit nichts gemacht hatte. Sein Zwillingsbruder hatte dem armen alten Kerl wahrscheinlich befohlen, auf seinem Posten zu bleiben, bis alle anderen im Bett waren, und gleichzeitig am nächsten Tag so früh aufzustehen, dass er sich um alles kümmern konnte, noch bevor er oder Christiana auf waren.
Kopfschüttelnd fragte er sich, was sein Bruder sonst noch alles getan haben mochte, während er weg war, und eilte durch das Arbeitszimmer zum Rasen. George lag immer noch so da, wie er ihn verlassen hatte; sein Kopf ragte aus dem einen Ende der aufgerollten Decke, die Füße und Unterschenkel aus dem anderen. Richard nahm sich die Zeit, ihn wieder in die Decke einzurollen, hob ihn mit einiger Mühe hoch und hielt inne.
Suzettes Fenster ging zum Garten hinaus; deshalb war die Leiche hier unten angekommen. Richard hätte es vorgezogen, mit seiner Last einfach um das Haus zu Daniels Kutsche zu gehen, aber dies würde bedeuten, die Ställe zu passieren, was vermutlich die Pferde in Unruhe versetzen würde. Zweifellos würde der Stallmeister sie in seinem Zimmer hören, und er würde kommen und nachsehen, was den Lärm verursacht hatte. Mit einer Grimasse
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