Ein echter Schatz
das Haus durchstöbert hatte. Die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter waren alle von Joyce.
»Die Zeit ist um«, sagte Ranger. »Wir sollten jetzt lieber Leine ziehen.«
Wir verließen das Haus auf dem gleichen Weg, wie wir gekommen waren. Ranger glitt hinter das Steuerrad des Cayenne, und wir düsten los. Ich sah auf die Uhr, und im selben Moment fiel mir ein, dass ich heute Abend zum Essen bei meinen Eltern verabredet war.
Ich rief Morelli auf meinem Handy an. »Heute ist Freitag«, sagte ich.
»Und?«
»Abendessen.«
»Oh, Mist«, sagte Morelli. »Ganz vergessen. Ich schaffe es nicht. Ich sitze hier fest.«
Ich sagte nichts, blieb einfach stumm.
»Ich muss arbeiten!«, sagte Morelli. »Sei nicht gleich sauer, nur weil ich meine Arbeit tue.«
In dem Punkt hatte er recht, aber ich wollte trotzdem nicht ohne Morelli zum Abendessen erscheinen. Ich hatte Angst, gnadenlos wegen Dickie ausgequetscht zu werden, wenn ich Morelli nicht an meiner Seite hatte. Er hätte meine Mutter und meine Oma abgelenkt.
»Ist das Bob, der da im Hintergrund bellt?«
»Ja. Bob ist bei mir.«
»Was ist das denn für eine Arbeit?«
»Das ist geheim.«
»Und wann ist diese geheime Sache erledigt?«
»Das weiß ich nicht. Hoffentlich bald.«
»Ich höre da ein Fernsehgerät im Hintergrund.«
»Bob guckt sich einen Film an.« Ich legte auf und sah Ranger an.
»Nein«, sagte Ranger.
»Du weißt doch noch gar nicht, was ich dich fragen wollte.«
»Du wolltest mich fragen, ob ich nicht Morellis Platz beim Abendessen einnehmen könnte.«
»Es gibt Brathühnchen.«
»Du musst schon mit was Besserem kommen als Brathühnchen.«
»Hast du heute Abend schon was vor?«
»Willst du mich jetzt mit aller Macht dazu überreden?«
»Ja.«
»Was ist bloß mit der Stephanie, die mich mal geheimnisvoll fand und die Angst vor mir hatte?« »Die gibt es nicht mehr.«
Eigentlich stimmte das nicht so ganz. Ranger war immer noch geheimnisvoll, und manchmal hatte ich immer noch Angst vor ihm nur heute nicht, verglichen mit meiner Mutter und meiner Oma. Ranger stellte sich in die Einfahrt, hinter den Buick meines Vaters.
»Um halb acht muss ich wieder weg. Und wenn du Tank davon erzählst, kette ich dich nackt an die Ampel in der Hamilton Ecke Broad. Und wenn deine Oma mich anmacht, erschieße ich sie.«
Das mit der Ampel sollte ein Witz sein, da war ich mir ziemlich sicher.
»Na, so was!«, sagte Grandma, als sie Ranger sah. »Was für eine Überraschung. Kommt Joe auch?«
»Nein«, sagte ich. »Nur Ranger.«
»Guck mal, Helen«, rief Grandma. »Gegen wen Stephanie Joseph heute Abend getauscht hat.«
Meine Mutter steckte den Kopf durch die Küchentür. »Wo ist Joseph?«
»Arbeiten«, sagte ich.
»Ich fülle gerade die Soße um. Nehmt schon mal Platz.«
Es klingelte, und Grandma eilte zur Tür. »Das ist er«, sagte sie zu mir.
»Mein Schatz.«
Mein Vater erhob sich aus seinem Sessel im Wohnzimmer und nahm seinen Stammplatz am Esstisch ein. »Mir egal, ob er in so einen Beutel scheißt«, wandte er sich an Ranger. »Sie kriegen hundert Dollar von mir, wenn Sie ihm ordentlich einheizen. Bringen Sie ihn dazu, die alte Mazur zu heiraten und sie mit ins Altersheim zu nehmen.«
»Das Altersheim nimmt ihn nicht wieder auf«, sagte ich zu meinem Vater. »Wegen ihm hat es dort gebrannt, und sie haben ihn rausgeworfen.«
»Wenigstens einer, der meint, ich könnte anderen noch Angst machen«, sagte Ranger zu mir.
»Sie sehen aus, als könnten Sie jedem Menschen Angst machen«, sagte mein Vater zu ihm. »Tragen Sie eigentlich auch mal was anderes als Schwarz?«
»Manchmal ziehe ich weiße Socken an«, sagte Ranger.
Ranger schmunzelte sein Rangerschmunzeln; er schien sich ganz wohlzufühlen bei uns; ich glaube, er hatte sogar seinen Spaß.
»Darf ich vorstellen. Mein Schatz, Elmer«, wandte sich Grandma an die Tischgesellschaft.
Elmer hatte sich aus diesem Anlass in Schale geworfen, buntkarierte Hose, weißer Rollkragenpullover, der das schlaffe Doppelkinn so weit nach oben drückte, dass die Hautfalten über den Rand quollen und wie ein Truthahn-Hals aussahen.
»Hallöchen, Leute«, sagte Elmer. »Ihr habt ja ein hübsches Hüttchen hier. Und dann sieh sich einer diese heißen Frauen an, mit denen ich jetzt zusammen am Tisch sitzen darf.«
»Ach, du Scheiße«, sagte mein Vater.
Meine Mutter stellte die Soßenschüssel auf den Tisch und schenkte sich ein Glas Wein ein.
»Elmer geht heute Abend mit mir zur Totenwache. Benchley ist
Weitere Kostenlose Bücher