Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Moccamaster umgehen konnte. Ohne Arvid Lunde käme das Kaffeekochen zum Stillstand, und ohne Kaffee vermutlich auch der Unterricht. Mit der Zeit rekrutierte Lunde am Moccamaster eine stellvertretende Befehlshaberin. Fräulein Mowinckel war die Konrektorin der Schule, eine Veteranin, die im Ruf einer alten Jungfer stand, von der Lunde jedoch alsbald herausfand, dass es sich um eine vor Lebensfreude sprühende Dame mit gestärkten Blusen und konservativen Röcken handelte. Die beiden fanden über die Kaffeemaschine und beim Versuch, die perfekte Tasse Kaffee zuzubereiten, zueinander.
Im Lehrerzimmer befanden sich ansonsten die üblichen Verdächtigen. Ein neurotischer Mathelehrer. Ein Sportlehrer, der nur im Trainingsanzug herumlief. Ein älterer Chemielehrer im grauen Hausmeisterkittel. Ein Geschichtslehrer mit Bürgermeisterambitionen. Eine linksradikale Norwegischlehrerin. Ein junger Musiklehrer mit Bart, bei den Mädchen sehr beliebt. Ein alkoholisierter Hausmeister. Es gab Lehrer, die sich langweilten, und andere, die einen tollen Job machten. Zu einer solchen Versammlung gehört auch einer, der unentwegt über sich redet. Im Gymnasium Odda hatten sie dafür Olav Eggen, einen Philologen und Hobbybratschisten, der der Meinung war, er könne ebenso gut in der Philharmonie Oslo wie in der Harmonie Bergen spielen. Hinter seinem Rücken wurde Eggen Der Disharmoniker genannt. Ganz ehrlich, man weiß nie, wie weit das eigene Talent reicht, sagte der Disharmoniker, als er Arvid Lunde in einer großen Pause endlich auf dem Sofa festgenagelt hatte. Er sagte, er hätte mit seiner Bratsche durch die ganze Welt reisen können, sein Talent hätte ausgereicht, aber eines Tages hätte er sich Villa, Volvo und Wuffwuff zugelegt. Arvid Lunde lauschte höflich. Die anderen Kollegen verdrehten die Augen. Sie hatten die Geschichte schon tausendmal gehört. Es ist schon trist, wenn ein Mann, statt Gas zu geben, auf die Bremse steigt, trotzdem denken wir: Wenn du noch einmal mit dieser Geschichte ankommst, kriegst du einen Tritt zwischen die Beine und einen gegen den Kopf, jetzt halt die Klappe, du verfluchter Mozartfan . Unsere Stadt war für den Kerl nicht gut genug, diesen Refrain kriegten wir ständig zu hören, er wollte am liebsten mit seiner Schwulenbratsche durch die Welt reisen und vor dicken Leuten, die in ihren Plüschsesseln mühsam gegen den Schlaf ankämpften, einen Ohrwurm nach dem anderen spielen.
Arvid Lunde erzählte wenig von sich. Als er später von den Hauptstadtzeitungen interviewt wurde, überraschten uns viele persönliche Informationen. Gerüchte waren schon eine Weile im Umlauf, die Leute berichteten von Glücksspiel, Aktienspekulationen, reichen Witwen und einem wohlhabenden Möbelerben. Die Versionen unterschieden sich, aber der Kern war immer gleich: Arvid Lunde war Multimillionär. Viele hatten ihre Zweifel. Auch im Anzug sah er nicht gerade wie ein Millionär aus. Das Schüren der Gerüchte konnte auch eine Methode sein, Arvid Lunde außen vor zu halten, er bekam einen Reichenstempel aufgedrückt, er war ein Mann wie kein anderer in Odda. Als die Wahrheit im Jahr 1984 ans Licht kam und klar wurde, dass der Mann es tatsächlich geschafft hatte, in diesen Jahren in Odda reich zu werden, fühlten viele sich hinters Licht geführt. Es war ziemlich abwegig, dass ein Multimillionär auf diese Weise zwischen normalen Steuerzahlern herumlief. Was um alles in der Welt machte er hier ? Der Disharmoniker fühlte sich derart provoziert, dass er Arvid Lunde im Lehrerzimmer an die Wand drückte, als hätte Lunde sich strafbar gemacht. Du spuckst auf mich herunter, sagte der Disharmoniker, verstehst du?
Viele haben behauptet, Odda sei eine integrative Stadt, aber Solidarität in Odda bezog sich stets auf die da unten, niemals auf die da oben. Die Leute haben Typen wie die Halspastille, den King, den Dinka, die Queen, die Valiumwalze, Ziegen-Jesus, Vice Versa und Bu und Bä umarmt. In einer Industriestadt kann man unmöglich die Empathie nach oben richten. Direktoren, Ingenieure, Konservative, Gewerbetreibende und Millionäre fielen in Odda aus dem Rahmen. Sie blieben unter sich, sozialisierten sich untereinander, wurden vom Rest der Bevölkerung jedoch argwöhnisch beäugt. Aber es geht doch auch darum, welche Signale einer aussendet, oder? Wenn Direktor Per Chr. Brink und seine Gattin beispielsweise ihren Sonntagsspaziergang durch Odda machten, waren sie nicht auf Integration aus. Brink war ein Konservativer mit
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