Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
einem Schuss Selbstüberschätzung, Frau Brink etwas zu hübsch, zu exklusiv gekleidet. Sie gehörten zu denen, die Lebensmittel aus den Edelläden in Oslo bezogen und klassische Musik hörten, wenn sie sich auf ihrer Veranda einen Drink genehmigten. Direktor Brink sprach gern davon, sich Herausforderungen zu stellen, positiv zu denken, mit Freude und Tatkraft voranzugehen. In seinem Büro hing ein kleines Poster an der Wand: Nur bergauf geht es nach oben . Auf seinem Schreibtisch stand ein Porträtfoto von ihm und seiner Frau im Partnerlook, beide in den gleichen bunten Pullovern.
Frau Brink setzte keinen Fuß in die Schule ihres Mannes. Sie weigerte sich, sein Büro zu betreten, solange das Foto nicht entfernt wurde. Ich liebe dieses Bild, sagte Per Chr. Brink. Du hattest noch nie Geschmack, mein Lieber, erwiderte Elise Brink.
Die Direktorenfrau hatte sich eine Zeitlang im Oddaer Theaterclub engagiert. Sie machte das Theater zu ihrem magnum opus , einem Monster, mit dem sie sieben, acht Jahre lang kämpfte, bevor sie es, nach wie vor unvollendet, verlassen musste. Normalerweise hatte das Theater Stücke auf dem Spielplan, die man als Variationen des Themas: Tür auf, Tür zu zusammenfassen konnte. Im Vorstandshaus hatten sie sogar eine Bühnenkonstruktion mit zwölf spezialangefertigten Türen gebaut. Doch wie Direktor Brink so treffend formulierte: Bei den Konservativen knallt keiner mit den Türen. Als die Direktorenfrau das Heft in die Hand nahm, wurde das Repertoire geändert, fortan spielte man Dramen, exakt das Gegenteil der leichtfüßigen und volksnahen Stücke. Nicht ein einziges Mal kam jemand durch eine Tür herein. Und es kam auch niemand in den Saal. Für die vier angekündigten Aufführungen von Becketts Endspiel wurden 23 Eintrittskarten verkauft, nicht mitgezählt die Premierenkarten, die an Freunde und Verwandte gingen. Als man Sechs Personen suchen einen Autor von Pirandello spielte, benannte ein Scherzkeks im Ensemble das Stück um in Sechs Personen suchen einen Zuschauer . Die Zahlen sprechen ansonsten eine deutliche Sprache:
Othello
53 zahlende Gäste
Rosmersholm
31 zahlende Gäste (5 sind in der Pause gegangen)
Der gute Mensch von Sezuan (Brecht-Trilogie)
48 zahlende Gäste
Der kaukasische Kreidekreis (Brecht-Trilogie)
19 zahlende Gäste
Herr Puntila und sein Knecht Matti (Brecht-Trilogie)
6 zahlende Gäste
Ulysses (Musicalversion)
12 zahlende Gäste (8 sind in der Pause gegangen)
Der Untergang Griechenlands
7 zahlende Gäste (alle sind in der Pause gegangen)
Die Entwicklung säte im Oddaer Theaterclub selbstredend Zwietracht. Viele Veteranen zogen sich aus dem Ensemble zurück, was die Auswahl des Repertoires weiter erschwerte. Bis dahin waren sie Lokalhelden gewesen, nach einer Premiere stolzierten sie hocherhobenen Hauptes durch die Fußgängerzone von Odda: Kikeriki! Sie grüßten alle und wurden von allen Seiten gelobt. Wie toll Sie gestern gespielt haben! Sie waren so witzig! Ich habe fast in die Hose gemacht vor Lachen. Auf diesem Lachen war das Theater in Odda errichtet worden, Komik war das Fundament. Für ein paar Stunden konnten die Menschen alles Unangenehme und Schwierige vergessen. Sie konnten lachen, kichern und wiehern. Das neue Theater brachte die Leute nur zum Weinen und zum Abtauchen.
Aufsehenerregend war allerdings, in welchem Maße die Lokalzeitung zu Frau Brinks Versuch, das Theater an die Wand zu fahren, beitrug. Ein Journalist im Hardanger Folkeblad pries die Inszenierungen als reinste Meisterwerke, die ganze Region sollte sich aufmachen, sie zu sehen. Der betreffende Journalist hatte bei den Leuten in Odda den Ruf, nicht ganz sauber im Kopf zu sein, eine kleine griechische Schwulenknospe. In einem langen Kommentar forderte er beispielsweise das Oddaer Musikorchester auf, mehr zeitgenössische polnische Musik zu spielen. Normalerweise schrieb der Journalist über Regulierungspläne, Brückenprojekte und die Erweiterung des Kiosks am Låtefoss-Wasserfall. Als Musik- und Theaterkritiker bekam er endlich die Chance zu brillieren, und er nutzte sie weidlich. Die Leute nahmen an, dass sich der Journalist auf seinem Bürostuhl mehrere Male im Kreis gedreht hatte, bevor er seine kranken Rezensionen schrieb, in denen er Wörter wie Doxa und dystopisch benutzte, um die Überlegenheit des Neuen Theaters zu schildern. Die Veteranen im Ensemble lasen sich die Kritiken laut vor, schwenkten kokett die Hüften und riefen: Genau, Mister Schwanzlutscher! Genau! Die
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