Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
zugeteilt worden war? Sollte er nicht Oddas bedauernswertester Mann sein? Im Frühjahr wurde deutlich, dass Ingrid aus der 2c in anderen Umständen war, wie es so schön heißt. Jemand hatte ihr ein Kind gemacht. Sie hatte lange versucht, es zu verbergen, indem sie in einer dieser schicken Daunenjacken herumlief, die damals in Mode waren. Es waren die hoffnungslosen Achtziger, alles wurde aufgeblasen, alles sollte riesig sein, die Mode war aufgeplustert und pompös, Schulterpolster, aufgetürmte Frisuren und Daunenjacken, so dick, dass man nicht wusste, ob Frauen trendy waren oder schwanger. Aber im Mai wurde es so warm, dass Ingrid die Daunenjacke ablegen musste, und nun war es nicht länger zu übersehen. Hardanger stand in Blüte, Ingrid auch. Ihr Bauch hatte sich gezeigt, und nach einiger Zeit zeigte sich auch der Vater. Er besuchte die Berufsschule und wohnte in einer Bude in jenem Gebäude, das man in Odda Den roten Rubin nannte, nach dem Roman von Agnar Mykle. Das war kein Zufall, denn in dem Gebäude ging es munter zu, unter anderem war also die Tochter des Gewerkschaftsführers an einem regnerischen Novemberabend im 7. Stock geschwängert worden. Der werdende Vater stammte aus Lofthus und sollte die elterliche Tankstelle übernehmen, sobald man ihm in Odda etwas Vernunft in den Schädel gehämmert hätte. Seine Mitschüler nannten ihn Diesel , weil der Kerl nach Treibstoff roch und sich für nichts anderes als Autos und Mädchen interessierte. Der Gewerkschaftsführer rastete aus, als er von der Geschichte erfuhr, die Schwangerschaft war eine Sache, eine ganz andere war es, dass sich seine Tochter von einem Simpel einen dicken Bauch machen ließ, der in der Schule keine Leuchte war. Der Vater hatte sich für sein einziges Kind den sozialen Aufstieg erhofft, jetzt sollte dieser Aufstieg an einer Zapfsäule am Fjord enden. Hatte sie vor, ihr Leben mit dem Verkauf von Waschmarken und dem Servieren von Wurstsemmeln zu verbringen? Der Diesel hatte mit dem Lesen und Schreiben schon immer Probleme gehabt. Seine größte schriftstellerische Leistung hatte – wie sich herausstellen sollte – in den Briefen bestanden, die er über Ingrid und Arvid verfasst hatte. Der Diesel musste schließlich zugeben, dass er der heimliche Pornograph gewesen war. Der Junge war eifersüchtig gewesen. Ingrid hatte mit ihm Schluss gemacht, ohne zu wissen, dass sie schwanger war, und er hatte angefangen, hinter ihr herzuspionieren. Jeden Mittwoch stand er vor Arvid Lundes Kellerwohnung, roch nach Treibstoff, und alle möglichen schmutzigen Gedanken gingen ihm durch den dieselbetriebenen Kopf. In den Briefen hatte er eine Phantasie und Kreativität an den Tag gelegt, die die Lehrer im Unterricht vermissten. Arvid Lunde war jedenfalls rehabilitiert. Er war die ganze Zeit über unschuldig gewesen. Nichts war passiert, außer in unseren Köpfen. Viele schämten sich, wenn sie daran dachten, wie sie über Lunde geredet hatten. Wir haben den Kerl verurteilt, wir haben getratscht und gelästert, dabei hatte lediglich unsere eigene dreckige Phantasie in einem unglücklichen Teenagerdrama mitgespielt.
Eines Tages im Juni wurde Arvid Lunde zusammen mit einem Fotografen und einem Kameraassistenten, die um ihn herumwirbelten, vorm Domus gesichtet. Sie baten Lunde, den Kopf ein wenig zu heben, treten Sie etwas nach links, sagten sie, sehen Sie mich an, schauen Sie weg, blicken Sie hoch. Der Fotograf hatte eine Großformatkamera mit riesigem Objektiv, während der Assistent einen silberglänzenden Schirm hielt, damit das Sonnenlicht in Gänze auf den verfluchten Arvid Lunde herabrieselte, der an diesem Tag einen hellen Anzug trug. Der Fotograf und der Assistent machten vor dem Rathaus, auf der Kinotreppe und oben am Gymnasium mehrere Aufnahmen. Die beiden waren ganz offensichtlich Profis, das sah man an ihrem Auftreten, die Leute beherrschten ihr Handwerk. Wir rätselten, wer wohl ein Bild von Arvid Lunde haben wollte und warum. Was war das für ein Schwachsinn?, fragten wir. Ein paar Wochen später konnten wir in der VG lesen, dass Arvid Lunde Multimillionär war. Er hatte der Zeitung erzählt, dass er Glück gehabt habe, er habe richtig Schwein gehabt, aber er musste sich auch ein wenig brüsten. Zuerst hatte er viel an norwegischen Computeraktien verdient, später hatte er in Polly Peck, Pallister Resources und Intertec Data Systems investiert. Aus drei Millionen waren zehn geworden. Aus zehn Millionen zwanzig. Aus zwanzig dreißig. Jetzt war er
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