Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
du nicht?, fragte James Lunde. Sie lachten. Aber warum bist du hierhergekommen?, fragte Arvid. Ich wollte nur wissen, wie es meinem kleinen Bruder geht, antwortete James. Arvid Lunde sagte, er sei froh, dass James Kontakt aufgenommen habe. James sagte, er sei froh, einen kleinen Bruder bekommen zu haben.
Ein paar Tage lang gab es zwei Lundes im Keller in Øvre Kalvanes. James stand jeden Morgen auf und machte für seinen Bruder Frühstück. Während Arvid draußen joggte, räumte der Bruder die Wohnung auf. Er wischte Staub, machte den Abwasch, putzte die Fenster. Mitten am Tag sahen die Leute James in Odda herumlaufen, wo er für das Abendessen einkaufte. Er kaufte frischen Fisch und Erdbeeren, die die Fjordbauern auf dem Markt anboten. Jeden Abend unterhielten sich die beiden, erpicht auf die Geschichte des anderen. James Lunde erzählte, er habe ein Leben geführt, das er anderen nicht empfehlen könne. Er habe als Kellner in einem Restaurant in Haugesund angefangen und sich dann nach unten gearbeitet. Von jedem versengten Tag meines Lebens steigt verschämter Rauch auf, sagte James Lunde. Dennoch war er der Meinung, es sei eigentlich nicht seine Schuld. Als 22-Jähriger hatte er Kopfschmerzen bekommen und gehofft, sie würden wieder verschwinden, aber im Krankenhaus hatten sie herausgefunden, dass er eine Gehirnverschiebung und eine Blutansammlung im Kopf hatte. Sie bohrten ein Loch in seine Schädeldecke und saugten das Blut ab. Anschließend wurde er bei der geringsten Kleinigkeit nervös, traute sich nicht mehr zu arbeiten, ging ständig zum Arzt, ließ seinen Körper durchchecken, Zentimeter für Zentimeter. Als ihm später aufging, dass er aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz überleben würde, begann er ausgelassen zu feiern und stopfte sich mit Schmerzmitteln voll, um nichts zu spüren. Er hätte sich auch anders verhalten können, aber jetzt hatte er das Gefühl, wieder in der Spur zu sein. Er hatte einen Job als Kellner in einem besseren Restaurant in Oslo bekommen. Hier schloss sich der Kreis.
Nachdem er zwei, drei Wochen bei seinem Bruder gewohnt hatte, fragte James Lunde eines Abends, ob er sich ein paar Kronen leihen könne. Er hatte vor, sich in Oslo eine Wohnung zu kaufen, sich eigene Möbel zuzulegen, nach all den Jahren auf der Straße brauchte er ein eigenes Reich. James Lunde sagte, wenn er ein Kind hätte, das sich wie er aufführte, er würde es grün und blau schlagen. Beide lachten. Arvid Lunde fragte, wie viel er brauchte. James Lunde antwortete, er brauche ein paar Tausend, um sein neues Leben in Angriff zu nehmen, fünfzigtausend vielleicht oder hunderttausend. An diesem Abend warf Arvid Lunde seinen Bruder hinaus. Er durfte seinen Koffer und seine Kleider mitnehmen, sonst nichts. Er bekam von seinem millionenschweren Bruder nicht einmal einen Hunderter.
James Lunde trottete zum Schmelzer , wo er seinen Koffer absetzte, ein Bier bestellte und einem begeisterten Publikum seine Geschichte erzählte. Er bekam ein Bierchen nach dem anderen spendiert. Hatte Arvid Lunde hier endlich sein wahres Ich gezeigt? War das seine Art? Na ja, nun liegen die Dinge nicht ganz so einfach, denn der zweite Lunde hatte keineswegs sein wahres Ich gezeigt. James Lunde hieß eigentlich Lars Husum und war im Krankenhaus Haugesund als Sohn von Helle und Kristoffer Husum zur Welt gekommen. Er hatte in der Zeitung von Arvid Lunde gelesen und wollte aufgrund seiner frappierenden Ähnlichkeit mit dem Aktienspekulanten aus dem Volk ein paar Tausender abstauben. Es war ein beherzter Versuch, und viele im Schmelzer meinten, der Typ sollte für seinen Einsatz belohnt werden. Es konnte schließlich sein, dass Lars Husum die hunderttausend Kronen dringender brauchte als Arvid Lunde. Andere meinten, wenn Arvid Lunde diesen Bruder akzeptiert hätte, wäre ein ganzes Rudel Brüder nach Odda gekommen, dann hätte es einen regen Zustrom an Brüdern, Schwestern und Neffen gegeben, die mit Hochwasserhosen und herzerweichenden Geschichten im Bus nach Odda gekommen wären. Die Episode wurde an dem Abend hin und her diskutiert. Wenn man zu Geld gekommen war, hatte man dann nicht die Verantwortung, die Welt für andere zu einem besseren Ort zu machen? Fast alle waren der Ansicht, Arvid Lunde hätte die Situation unmöglich bewältigen können, die entstanden wäre, wenn er den Ersten akzeptiert hätte. Schurke Nummer eins musste eine deutliche Abfuhr bekommen, sonst wären bald jede Menge Schurken um ihn herumgeschlichen. Gauner
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