Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
rund vierzig Millionen Kronen wert.
Natürlich hatte ihn die Liberalisierung der Wirtschaft und der Börsenaktivitäten nach oben gebracht, doch seine Stärke als kleiner Investor lag darin, flexibel am Markt agieren zu können. Die Leute in Odda sagten, es sei schon merkwürdig, über verdientes Geld zu reden. Die Reichen redeten niemals auf diese Weise über Geld, das sei eine Faustregel. War jemand zu Geld gekommen, sprach er nicht darüber. Aber das hier war vermutlich Arvid Lundes Rache. Jetzt konnte er hocherhobenen Hauptes durch Odda schreiten. Weder war er ein Sexualstraftäter noch ein Verführer Minderjähriger. Er war ein Multimillionär, er war ein Mann auf der Sonnenseite. Arvid Lunde kaufte sich einen neuen Audi. Damit fuhr er den Røldal-Haukelivegen hinauf und ließ einen Arm aus dem Seitenfenster hängen, als müsste er seinen Körper abkühlen. Er war ein Mann, der gerade heißlief. Die Ausgabe der VG mit dem Lunde-Interview war schon am frühen Samstagmorgen ausverkauft. Alle wollten das dreiseitige Interview lesen, das den Titel trug: DER AKTIENSPEKULANT AUS DEM VOLK. Am Nachmittag kamen Expresssendungen mit weiteren VG -Ausgaben, aber auch die waren im Nu ausverkauft.
Wie sehen dreißig Millionen Kronen aus? Wie vierzig Millionen? Viele in Odda behaupteten, Arvid Lunde habe nichts zu verlieren gehabt, er war ein Ausgestoßener, der an der Börse munter drauflosspekulieren konnte. Wenn er sein Geld verlor, war es nicht von Bedeutung. Die Kommunisten hassten ihn, die Sozialisten konnten ihn nicht ausstehen, ein paar Mitglieder der Arbeiterpartei reagierten wütend. Wie kann ein Mann in so kurzer Zeit vierzig Millionen verdienen, wenn er nur mit dem Hintern auf einem weichen Sessel in einem kühlen Raum sitzt? Tagein, tagaus gehen hier 400 bis 500 Mann durch das Tor zum Schmelzwerk, rund um die Uhr, das ganze Jahr, 500 Mann, die sich verausgaben, die schwitzen, die sich abmühen, ein ganzes Heer von Männern, die in glühenden Schmelzmassen einen Abstich machen, die Cyanide abzapfen, die Tiegel von Dreck befreien, 500 Mann, 500 Arbeiter, und doch läuft der Betrieb schlecht. Und woher hatte Arvid Lunde überhaupt das Startkapital? In Zeiten des Aufschwungs können alle reich werden, aber man braucht ein Startpedal, sonst kann man sein Motorrad den ganzen Weg nach Hause schieben. Man kann nicht das große Geld verdienen, wenn man nur kleines investiert. Scheiße, die verdammten Achtziger, es war, als kämen sie wie eine Königin aus dem Bad, stoned und sich im Rock’n’Roll-Rhythmus verrenkend. Der Held des Tages war derjenige, der am meisten verdiente und am wenigsten dafür tat.
Der Zeitung erzählte Arvid Lunde, er sei ein Gewohnheitsmensch. Jeden Tag, nachdem er mit dem Maklerhaus in Oslo gesprochen habe, lege er sich aufs Sofa und genieße eine Zigarette. Das sei der einzige Luxus, den er sich gönne, eine Lucky Strike, nachdem er die Order des Tages an der Börse platziert habe, auf dem Sofa liegend, während der Rauch zur Decke aufstieg. Über Arvid Lunde hing keine schwarze Wolke mehr, dafür stieg über einem Millionär eine kleine Rauchwolke auf. Er sprach von einem Aktienportfolio, das sich über mehrere Branchen erstreckte: Lebensmittelsektor, Pharmaindustrie, Finanzbranche, Informationstechnologie, Telekommunikation. Er hatte auf große und auf kleine Unternehmen mit Potential gesetzt. Mehrmals täglich stand er in Kontakt mit dem Maklerhaus in Oslo, in der kommunalen Bibliothek von Odda vertiefte er sich in die Financial Times , das Wall Street Journal und die Business Week . Unbekümmert lobte Arvid Lunde die Oddaer Bibliothek, dort gab es eine große Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften, so dass er sich stets auf dem neuesten Stand halten konnte. Paradoxerweise war die Leiterin der Oddaer Bibliothek Kommunistin. Dordei Raaen hatte in den Fünfzigerjahren die Führungsriege der Arbeiterpartei davon überzeugt, sich für eine phantastisch gute Bibliothek einzusetzen, sie betrieb aufreibende Lobbyarbeit für eine Bibliothek von Weltklasse, sie stellte sich vor, dass die Arbeiterschicht auf diese Weise zu echten Revolutionären werden könnte. Nun hatte Arvid Lunde die Bibliothek genutzt, um Informationen über die Entwicklung auf dem internationalen Finanzmarkt zu sammeln. Alles ergab jetzt einen neuen Sinn. Sein Singen. Sein Lächeln, wenn er durch Odda joggte. Die langen Telefongespräche auf der Arbeit. Der Kauf ausländischer Zeitschriften beim Kiosk am Kai. Arvid Lunde hatte
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