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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Grytten
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eine Kraft in sich, mit der wir nicht gerechnet hatten. Er war am Boden gewesen und hatte sich mit einem Grinsen im Gesicht nach oben gearbeitet. Ein ganz normaler Mann, der sich innerhalb kürzester Zeit dumm und dämlich verdient hatte. Wir sahen ihn vor uns. Am Telefon. Über die Financial Times gebeugt, in Øvre Kalvanes auf dem Sofa mit der täglichen Zigarette im Mund. Die Leute hielten ihn auf der Straße an oder kamen im Sportscafé zu ihm an den Tisch. Sie redeten über das Wetter und über Gott und die Welt, aber schnell kamen sie auf das Eigentliche zu sprechen: Auf welche Aktie sollten sie setzen? Welche Aktie sollten sie abstoßen? Sie wollten Tipps, sie wollten wissen, wo die Räuber waren, sie wollten wissen, welche Unternehmen auf dem Weg nach oben waren. Arvid Lunde war ein Mann wie kein anderer, er wusste etwas über die Zukunft, er hatte ins Weltall geschaut und die großen Zusammenhänge erkannt, er wusste, welche Aktien in der Luft schwebten, welche Firmen im Sinkflug waren oder zum Himmel stiegen. Lunde lächelte die Leute, die sich ihm näherten, nur an, er umschiffte alles Gerede über Ökonomie, so wie ein Exboxer außerhalb des Rings den Kampf meidet. Es gab einen Ehrenkodex, das hatte er von Trygve Mathissen gelernt: Wer sich in den Kneipen prügelt und anderen Leuten die Zähne ausschlägt, wird niemals Boxer. Die Leute begannen mit einem gewissen Respekt über Arvid Lunde zu sprechen. Auch in Odda hatten wir einen Mann, der wusste, wie die Welt funktionierte, einen Mann, der auf der Höhe der Zeit war. Fast am Ende eines Fjordarms saß ein Mann, der rasche Entscheidungen traf, Order platzierte, Geld für sich arbeiten ließ. Selbst an einem derart beschissenen Ort voller Rauch und Regen und Karbid gab es einen Mann im Anzug und mit Hosenträgern, einen, der Risiken auf sich nahm, der realwirtschaftliche Faktoren und Zukunftsaussichten bewertete. Es schien, als hätte Arvid Lunde ein Radiogerät eingeschaltet, die ganze Skala abgesucht und die richtige Frequenz hereinbekommen. Liebliche Musik. Schöne Musik. Vierzig Millionen Kronen. Nicht schlecht. Große Klasse. Musste man nicht stolz darauf sein?
    Eines Tages im Juli kam Arvid Lundes großer Bruder mit dem Bus nach Odda. Die Sonne hing am Gipfel des Rossnos, die Leute waren im Garten und grillten, die Rasensprenger surrten. Alle, die Arvid Lundes Bruder an diesem Abend aus dem Bus steigen sahen, flüsterten, dort kommt Arvid Lunde, das ist ein Mann, der vierzig Millionen wert ist. Die Leute mussten ziemlich dicht an ihn herankommen, um zu sehen, dass es sich um eine andere Person handelte, so sehr ähnelten sich die beiden. Wie zwei Wassertropfen. Der große Bruder trug sogar die gleichen Hochwasserhosen wie der kleine Bruder. Die Oddaer hatten nicht geahnt, dass Arvid Lunde einen großen Bruder hatte, und später wurde bekannt, dass auch Arvid Lunde nichts davon gewusst hatte. Er war zusammen mit einem großen Bruder in Åsane bei Bergen aufgewachsen, einem großen Bruder, der heute als Chef des Desktop-Publishing bei Tønsbergs Blad arbeitete, aber von einem weiteren großen Bruder war nie die Rede gewesen. An diesem Abend kam Arvid Lunde persönlich mit seinem Audi angefahren, um den Bruder abzuholen. Sie begrüßten sich kurz, bevor Arvid das Gepäck einlud und sich ans Steuer setzte. Dann fuhren sie nach Øvre Kalvanes, kochten sich etwas Feines und tranken ein paar Bierchen. Arvid Lunde zündete sich an diesem Abend eine zusätzliche Lucky Strike an, eigentlich hatte er aufgehört zu rauchen, es beeinträchtigte ihn beim Laufen, aber jetzt brauchte er eine Zigarette, er hatte einen neuen Bruder bekommen. James Lunde erzählte, er habe in einer Zeit das Licht der Welt erblickt, die für die Eltern ziemlich hart gewesen sei. Sie waren kaum über die Runden gekommen, ein Kind war das Letzte, was sie brauchten. Darum war James an eine Familie in Haugesund zur Adoption gegeben worden, und seitdem hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Das hatte James Lunde herausgefunden, als seine Adoptivmutter im Sterben lag. Sie hatte das Bedürfnis verspürt, ihr Herz zu erleichtern. James Lunde sagte, seine Adoptivmutter habe ihm nie verraten, wie seine Familie hieß, nur dass sie aus Bergen stammte. Aber eines Tages hatte ihm jemand eine Ausgabe der VG in die Hand gedrückt. Darin hatte er das Foto von Arvid Lunde gesehen. Er hatte sofort begriffen, dass dies sein Bruder war. Du findest also, dass wir uns ähnlich sehen?, fragte Arvid Lunde. Ja,

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