Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
»Haben Sie irgendwelche Frittentüten in seiner Nähe gefunden?«
»Nichts Frisches. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Gillespie hatte um acht reichlich zu Abend gegessen - geschmortes Huhn, zwei Teller. Glauben Sie, er hat es mit den Fingern getan?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Wie kommt’s dann also, dass er keine drei Stunden später beschließt, in einen Fish-and-Chips-Laden zu gehen?« Rebus wandte sich wieder an den Pathologen. »Wenn Sie in seinem Magen nachsehen, wette ich, dass Sie nichts anderes als geschmortes Huhn finden werden.«
»Ich fand es schon komisch«, sagte der Pathologe. »Ich meine, die meisten Leute würden sich ja wohl anschließend die Finger abwischen. Aber diese Fett- oder Schmalzschicht war ziemlich dick.«
Womit Rebus Bescheid wusste.
35
Es war noch immer Mittagessenszeit, als Rebus in den Chips-Laden auf der Easter Road spazierte. Zwei Männer in Schlips und Anzug standen Schlange hinter einem Teenager in einem dünnen Parka, dessen Wattierung aus den Nähten quoll. Rebus stellte sich an, lächelte und winkte dabei dem Mann hinter dem Tresen zu, der allerdings nicht darauf reagierte.
Schließlich war Rebus an der Reihe. »Hallo, Gerry!« Gerry Dip wischte ein paar Soßentropfen von der Arbeitsfläche. »Kennen Sie mich noch?«
»Was wollen Sie?«
Rebus lehnte sich über den Tresen. »Ich will wissen, wo Sie letzte Nacht zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr waren, und ich erwarte von Ihnen das Alibi des Jahrhunderts.«
»Wozu?«, fragte Gerry Dip.
Rebus lächelte nur. »Kommen Sie, wir machen eine kleine Spazierfahrt.«
»Ich kann nicht. Ich bin hier allein.«
»Dann schalten Sie eben alles aus, schließen ab und hängen vielleicht noch ein Schild an die Tür: ›Bin die Fische füttern.‹«
Gerry Dip beugte sich hinunter, als wolle er nach einem Schalter greifen, und schleuderte dann etwas auf Rebus. Es war ein brutzelnder Fisch, frisch aus der Friteuse. Rebus
duckte sich, und das Wurfgeschoss sauste, Fett verspritzend, über ihn hinweg. Ohne sich weiter aufzuhalten, stieß Gerry Dip die Tür zur Küche mit der Schulter auf. Rebus rannte um den Tresen herum und folgte ihm. In der Küche hatte Dip einen Sack Kartoffeln umgeworfen und war schon halb durch die Hintertür hinaus. Rebus stolperte über die Kartoffeln, hechtete nach vorn und verfehlte Dips Knöchel um Haaresbreite. Er rappelte sich wieder auf und stürzte hinaus, auf eine Gasse. Nach links ging’s nicht weiter. Rechts rannte Gerry Dip mit flatternder Schürze, was das Zeug hielt.
»Aufhalten!«, schrie Rebus.
Das brauchte man Davidson nicht zweimal zu sagen. Er wartete am Ende der Gasse, die Hände in den Taschen, wie ein unbeteiligter Zuschauer. Aber als Dip an ihm vorbeirannte, riss er einen Arm hoch und erwischte ihn an der Kehle. Dip kippte nach hinten weg, als sei er an einem Gummiseil befestigt gewesen. Seine Hände fuhren an die Kehle, und er fing an zu würgen.
»Sie hätten ihm den Kehlkopf einschlagen können«, meinte Rebus, aber es klang nicht sonderlich vorwurfsvoll.
Als Gerry Dip um vier Uhr sein Schweigegelübde noch immer nicht gebrochen hatte, verließ Rebus den Vernehmungsraum und machte eine Spazierfahrt.
Gerry war ein alter Hase: Er beherrschte die Regeln des Spiels namens »Der Polizei bei ihren Ermittlungen helfen« aus dem Effeff. Er würde den Mund halten, ob mit oder ohne Anwalt. Bislang hatte er lediglich gesagt, das seien miese Polizeimethoden, und er verlange, jemanden von SWEEP zu sprechen. Es würde mehr als nur Rebus’ Überzeugung erforderlich sein, um ihn des Mordes zu überführen. Sie würden Beweise brauchen. Rebus hatte Davidson die komplexe Folge von Zusammenhängen erläutert,
durch die er auf Gerry Dip gekommen war. Jetzt war es an Davidson, seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass die Verdachtsmomente ausreichten, um die Durchsuchung von Gerry Dips Bude und dem Chips-Shop anzuordnen. Der Besitzer des Ladens hatte bereits ausgesagt, dass Gerry am Abend zuvor freigehabt hatte. Rebus war der Tathergang vollkommen klar: ein Telefongespräch, Gillespie erscheint am verabredeten Treffpunkt, Gerry Dip überrascht ihn, Gillespie versucht, den Angriff abzuwehren, packt Dip beim fettdurchtränkten Hemd oder Jackett …
Nur eines passte nicht: Allein hätte Gerry Dip Gillespie niemals in die Falle locken können. Es musste noch jemand anders gegeben haben, jemand, dem er vertraute, jemand, den er sprechen wollte …
Der Sehr Ehrenwerte Cameron
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