Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
ihn«, erwiderte Maisie Finch. Merkwürdiger Rat, dachte Rebus, bevor er die Wohnung verließ.
9
Von Tollcross zur Zentrale der Abteilung C am Torphichen Place war es nicht weit, aber Rebus wusste, dass er sich mehr und mehr von seiner Wohnung entfernte. Er hatte nicht vor, den ganzen Weg zurückzulaufen, und hoffte, in Torphichen einen freien Wagen zu finden, der ihm als Taxi dienen könnte.
In der Anmeldung saß ein großer kahlköpfiger Mann mit einem dicken schäbigen Mantel. Er hielt die Arme verschränkt und starrte auf seine Füße. Der Schalter war nicht besetzt, also drückte Rebus auf den Summer.
»Schon lange hier?«, fragte er.
Der Mann sah auf und lächelte. »’n Abend, Mr. Rebus.« »Hallo, Anthony.« Rebus kannte den Mann. Es war ein Obdachloser, einer der unzähligen, die alle fünfzehn, zwanzig Meter entlang der Princes Street herumstanden und die Wochenzeitschrift The Big Issue zum Verkauf anboten. Rebus kaufte Anthony, dessen Standplatz vor dem St. James Centre war, gewöhnlich ein Heft ab. »Sind Sie hier, um uns bei unseren Ermittlungen zu helfen?«
Anthony grinste ihn zahnlückig an. »Nur um im Warmen zu sitzen. Ich hab dem Beamten gesagt, ich würd auf D. C.
Reynolds warten, bloß dass ich vorhin gesehen hab, wie der in die Hopscotch Bar auf der Dalry Road ging.«
»Was bedeutet, dass er bis auf weiteres aus dem Verkehr gezogen ist.«
»Und ich kann hier sitzen bleiben, bis jemand Lunte riecht.«
Ein Uniformierter erschien hinter dem Schalter. Rebus hielt seinen Ausweis hoch, und der Beamte kam und schloss ihm auf.
»Sie kennen den Weg, Sir?«
»Ja. Wer hat Dienst?«
»Es ist ziemlich ausgestorben da oben.«
Rebus stieg trotzdem die Treppe hinauf.Torphichen war ein altes Revier, klein, mit schlichten Steinwänden und einer leicht deprimierenden Atmosphäre. Rebus mochte es. Mit Sicherheit war es ihm lieber als sein eigenes Revier, das viel neuere und angeblich ergonomisch gestaltete St. Leonard’s. Er streckte den Kopf in den CID-Raum. Genau der Mann, den er gesucht hatte, saß an einem langen zerschrammten Holztisch und las die Abendzeitung.
»Mr. Davidson«, sagte Rebus.
Davidson sah auf und stöhnte.
»Sie müssten mir einen Gefallen tun«, sagte Rebus, während er ins Zimmer trat.
»Na, das ist doch mal was Neues.«
»Haben Sie von Warrender gehört?«
»Selbstmord mit Schrotflinte?« Neuigkeiten sprachen sich schnell herum. Davidson faltete die Zeitung zusammen.
»Der Mann am Abzug hieß Hugh McAnally, wohnte in Tollcross.«
»Ich kenne Wee Shug. ›Kleiner Scheißkerl‹ würd’s eher treffen. Er war grad aus Saughton raus.«
»Vielleicht hatte er Heimweh.«
»Wie wär’s mit was zu trinken?«
»’n Kaffee vielleicht.«
Aber Davidson griff schon nach seinem Mantel. »Ich sagte trinken .«
»Solange Sie nicht in den Hopscotch wollen. Rattenarsch Reynolds ist gerade da.«
Davidson knotete sich den schottisch karierten Schal um den Hals. »Schön, dann streichen wir den Hopscotch. Und da Sie zahlen, dürfen Sie auch wählen.«
Rebus wählte ein großes Pub in der Nähe des Bahnhofs Haymarket. An der Bar drängten sich die Gäste, aber hinten im Saloon war es ruhig. Sie bestellten Doppelte.
»Zu kalt draußen für Bier«, meinte Davidson. »Auf Ihr Wohl.«
»Und Ihres.« Rebus nahm einen Schluck und spürte, wie die Flüssigkeit ihre Wirkung tat, und zwar sofort. Manchmal war’s fast zu gut. »Also«, sagte er, »erzählen Sie mir von Wee Shug.«
»Ach, er war ein kleiner Fisch, früher auf aussichtslose Wohnungseinbrüche spezialisiert.«
»Früher?«
»Hat später umgesattelt: Hehlerei, Urkundenfälschung, dies und das.«
»Wie lang war er also hinter Gittern?«
»Zuletzt, meinen Sie? Ist komisch, als ich hörte, er wär entlassen, hab ich kurz nachgerechnet. Er ist früh rausgekommen, hat nicht ganz vier Jahre abgesessen.«
»Na ja, wenn wir ihm nicht mehr als Hehlerei anhängen konnten...«
Davidson schüttelte den Kopf. »Sorry, Missverständnis. Mein Fehler. Er war nicht wegen einer seiner üblichen Sachen eingebuchtet worden.«
»Sondern?«
»Vergewaltigung einer Minderjährigen.«
»Was?«
Davidson nickte. »Der Punkt ist nur, wir haben ihn zwar deswegen festgenagelt, aber ich könnte wirklich nicht beschwören, dass die Sache hieb- und stichfest war.«
»Erzählen Sie.« Rebus bestellte zwei weitere Whisky.
»Na ja, das Mädchen war fünfzehn, ging aber, wie alle meinten, stramm auf die Dreißig zu. Kein bisschen schüchtern,
Weitere Kostenlose Bücher