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Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman

Titel: Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin Giovanni Bandini Ditte Bandini
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Er sah Maisie, die schlanken Beine übereinander geschlagen, auf der Armlehne von Tresa McAnallys Sessel sitzen. Sie hielt die Hand der Witwe und tätschelte sie, während sie mit ihr redete, und Tresa hörte mit gesenktem Kopf zu. Hörte ihr zu und brachte ein Lächeln zustande. Rebus hätte Tresa McAnally als »streitlustig« bezeichnet; vielleicht sogar als »dreist«. Aber momentan passte keines von beiden Attributen auf sie. Vielleicht lag es nur an den äußeren Umständen, an der Trauergesellschaft, aber er glaubte es nicht.
    »Das Auto ist da«, sagte jemand am Fenster, womit er meinte, dass der Leichenwagen kam. Der Pastor stand auf und sprach, in der Hand ein Glas Whisky, die Wangen röter als bei seiner Ankunft, ein paar passende Worte. Rebus drängte sich in den Flur und durch die offene Tür hinaus und stieg die Treppe hinunter. Der Mann mit den Hosenträgern beugte sich über das Geländer.
    »Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Kumpel, irgendwo, wo’s keine Zeugen gibt.«
    Die Drohung hallte durch das Treppenhaus. Rebus ging weiter. Als er losfuhr, hinterließ er eine Parklücke für den Leichenwagen.

15
    Rebus war nicht der Einzige, der sich für Shug McAnallys Selbstmord interessierte. Er hatte den Zeitungsartikel gelesen, nachdem er sich durch rasches Überfliegen vergewissert hatte, dass er darin nicht vorkam. Außer Mairie Henderson waren noch zwei weitere Verfasser angegeben. Es ließ sich unmöglich feststellen, wo Mairies Beitrag begann
und wo er endete - außer natürlich, dass sie Rebus’ Tochter Sammy interviewt hatte; zwar wurde Sammy nicht namentlich erwähnt, wohl aber der Verein, bei dem sie arbeitete: die Scottish Welfare for Ex-Prisoners oder SWEEP, wie die Organisation sich lieber nennen ließ.
    Wie auch die anderen im Artikel erwähnten Gefangenen-Hilfsorganisationen vertrat SWEEP die Ansicht, dass Hugh McAnallys gerade eine Woche nach seiner Entlassung erfolgter Selbstmord Indiz für schwer wiegende Probleme bei der Wiedereingliederung Straffälliger in die Gesellschaft und das Fehlen echter Anteilnahme »innerhalb des Systems« darstellte - garantiert O-Ton Sammy. Polizei, Gefängnispersonal und staatliche soziale Einrichtungen wurden heftig kritisiert. Der Direktor der Justizvollzugsanstalt Edinburgh konnte nichts anderes tun, als der Presse zu erklären, wie Häftlinge auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorbereitet wurden. Eine »Sprecherin von SWEEP« betonte, dass entlassene Gefangene - SWEEP sprach nie von Straf gefangenen - unter den gleichen psychischen Problemen litten wie freigelassene Entführungsopfer oder Geiseln. Rebus meinte förmlich, Sammy zu hören.
    Ein paar Monate zuvor hatte er zu seiner Überraschung einen Brief erhalten, in dem seine Tochter ihm mitteilte, sie habe jetzt einen Job in Edinburgh und »komme wieder nach Haus«. Er hatte sie angerufen, um zu klären, was das bedeutete, und erfahren, sie meinte lediglich, dass sie wieder nach Edinburgh zog.
    »Keine Angst«, hatte sie ihn beruhigt, »ich hab nicht vor, mich bei dir einzuquartieren.«
    Der Job, den sie später bekam, war bei SWEEP. Sie hatte in London schon seit einiger Zeit mit Häftlingen und Haftentlassenen gearbeitet, und zwar seit sie einen Freund im Gefängnis besucht, die dortigen Verhältnisse und, wie sie es ausdrückte, »die Einsamkeit« miterlebt hatte.

    »Dieser Freund«, hatte Rebus taktisch unklug gefragt, »weswegen saß der eigentlich?«
    Worauf ihre Konversation einen - vorsichtig ausgedrückt - etwas bemühten Charakter angenommen hatte.
    Sie wollte nicht, dass er sie vom Zug abholte, aber er fuhr trotzdem zum Bahnhof Waverley. Sie bemerkte ihn nicht, als er sie dabei beobachtete, wie sie ihre Army-Tasche und den abgewetzten roten Rucksack auf den Bahnsteig warf. Er wäre am liebsten auf sie zugegangen, um ihr hallo zu sagen, sie in die Arme zu nehmen oder vielleicht von ihr umarmt zu werden. Aber sie hatte nicht gewollt, dass er sie abholte, also blieb er, wo er war, in der leisen Hoffnung, sie würde ihn trotzdem sehen.
    Doch sie sah ihn nicht; sie schaute sich nur mit sichtlichem Vergnügen in der belebten Bahnhofshalle um, schwang sich den Rucksack über die Schulter und hob die Tasche auf. Sie wirkte dünn und trug enge schwarze Leggings, Schnürstiefel, ein ausgeleiertes graues T-Shirt und eine schwarze Weste. Das Haar trug sie neuerdings lang, zu einem Pferdeschwanz gebunden, in den sie bunte Baumwollstreifen geflochten hatte. An jedem Ohr blitzten mehrere Ohrringe, und

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